Die Irrmeinungen über die direkte Demokratie und die Unterschiede zwischen einer Volksabstimmung von oben und einer von unten: Eine Gegenrede zum Leitartikel „Wir sind das Volk“ in ff 4/19.
Leitartikel
Muffliges Nebeneinander
Aus ff 06 vom Donnerstag, den 07. Februar 2019
In ihrem Programm will die Landesregierung mehr „Fremdsprachenunterricht“. Das ist eine Bankrotterklärung für den bisherigen Sprachunterricht.
Die Koalition aus Südtiroler Volkspartei und Lega vollzieht in der Schule eine Trendwende im Sprachunterricht, ohne dass groß darüber geredet würde.
Darauf weist der scheinbar unscheinbare Satz im Koalitionsabkommen hin, der „weitere qualitative Verbesserungen des Zweitsprachunterrichts durch eine verstärkte Fremdsprachendidaktik“ verspricht. Und darauf lassen Äußerungen der Landesräte für die Schule Philipp Achammer (SVP) beziehungsweise Giuliano Vettorato (Lega) schließen. Sie stellen unter anderem Clil, den Sachfachunterricht in der zweiten Sprache (in der italienischen Schule zum Beispiel Philosophie auf Deutsch) infrage.
Besonders Achammer galt Clil eine Zeit lang als Rezept gegen kümmerliche Kenntnisse der zweiten Sprache – aber es war wohl eher nur ein Kniff, um die Forderungen nach einer mehrsprachigen Schule abzuwehren. Die Lega-Landesregierung im Trentino hat Clil schon abgeschafft – es war eine ihrer ersten Amtshandlungen. „Prima gli Italiani – prima l’Italiano“.
„Verstärkte Fremdsprachendidaktik“ in der „Zweitsprache“. Dieser Satz ist ein Widerspruch in sich. Ein Eingeständnis.
Und eine Bankrotterklärung.
Der Widerspruch. In einem Land, das sich mit seiner Autonomie als Modell für die Welt darstellt, wird die Sprache der anderen als Fremdsprache behandelt, so, als würde es den anderen nicht geben. Zur Erinnerung: Wenn die Sprachen sich berühren wie in Südtirol, redet man von „Zweitsprache“ und nicht von „Fremdsprache“, lernt man aber zum Beispiel in Sizilien Deutsch, ist es natürlich eine Fremdsprache. Entsprechend ändern sich Didaktik, Zugang zur Sprache und Ausbildung der Lehrpersonen.
Das Eingeständnis. Wir sind beim Erlernen von Deutsch beziehungsweise Italienisch in Südtirol nicht viel weiter gekommen. Wenn wir überhaupt weitergekommen sind. Das belegen auch Untersuchungen der Europäischen Akademie. Die bisherigen Bemühungen und Investitionen des Landes gingen weitgehend ins Leere.
Die Bankrotterklärung. Die Sprachgruppen in Südtirol sind einander fremd (geblieben). Es ist ein muffliges Nebeneinander, statt ein fröhliches Miteinander. Wir lernen Englisch – und beherrschen es auch besser – als Deutsch beziehungsweise Italienisch.
Das hat Gründe, die in die Urzeit des Autonomiestatuts zurückreichen. Denn das Autonomiestatut zementiert die Trennung der Sprachgruppen in Südtirol – Grenzüberschreitungen sind nicht vorgesehen, und wenn es jemand wagt, wird er bestraft.
Das ist das Kreuz der Südtirol-Autonomie: Trennung ist Programm. Per Statut gibt es höchstens ein Nebeneinanderherleben. Davon lebt die Autonomie politisch. Gesellschaftlich verhindert das, dass Gräben zugeschüttet werden. Das lässt sich am Koalitionsabkommen ablesen. Es will zwar den Austausch zwischen den Sprachgruppen begünstigen, aber eine wahre Kooperation fördert es nicht.
Wie halten wir es zum Beispiel mit Familien, die „gemischt“ sind (soll ja vorkommen)? Ihre Mitglieder müssen sich immer für eine Schule oder eine Sprachgruppe entscheiden und damit auch gegen einen Teil von sich selber.
Der Grund dafür liegt im Artikel 19 des Statuts, der das Recht auf den muttersprachlichen Unterricht garantiert. Oder besser in dessen Interpretation. Im Koalitionsvertrag wird ausdrücklich noch darauf verwiesen. Die Interpretation der SVP ist: Artikel 19 erlaubt keine mehrsprachige Schule. Die Lega hat sich schnell der SVP gefügt, im Wahlkampf gehörte die mehrsprachige Schule noch zu ihren Forderungen. Es wird interessant zu sehen sein, wie ihr Landesrat mit der mehrsprachigen italienischen Schule verfährt.
Mehr „Fremdsprachenuntericht“ heißt: Südtirol entwickelt sich zurück. Der Weg nach vorne wäre: die Möglichkeit einer mehrsprachigen Schule, die direkte Begegnung in der Schule.
Wovor haben wir Angst? Wenn eine mehrsprachige Schule unsere Identität gefährdet, steht unsere Identität auf sehr wackligen Beinen.
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