Das Museion in Bozen findet keinen Direktor, ff 7/2019
Leitartikel
Kevin allein zu Haus
Aus ff 08 vom Donnerstag, den 21. Februar 2019
Der Fall Masocco zeigt, wie schnell wir ins Fettnäpfchen der Feindbilder tappen: „Die sind alle so.“ Wenn dem so wäre, hätten Populisten recht. Klüger ist es, sich daran zu erinnern, dass jeder für seine Vergehen selbst verantwortlich ist.
Kevin Masocco hat also zugegeben, was nicht zu leugnen war. Er war es, der seine Whats-App-Freunde aufgefordert hat, in die Disko zu kommen, weil es dort eine „geile DJ zu vergewaltigen“ gebe. Masocco zeigt sich reuig. Er schäme sich, sagte er, zieht die Konsequenzen und tritt als Gemeinderat zurück. Gut so.
Interessant und lehrreich ist der Fall wegen der Zugehörigkeit Masoccos zur Lega. Und wegen der Reaktionen vonseiten der politischen Gegner dieser Partei. Die Grüne Brigitte Foppa schrieb in einem Kommentar im Portal Salto.bz: „Dabei dürfen wir nicht vergessen, aus welchem Haus er kommt – und leider ist er nicht allein zu Haus.“ Will heißen: Von den Leghisti ist nichts anderes zu erwarten.
„Lega – Sexisten und Chauvinisten“: Mit dieser Formel begeben wir uns allerdings auf Glatteis. Wir vermengen die persönliche Verantwortung für ein Vergehen mit einer immaginären Kollektivschuld. Wir machen darüber hinaus denselben Trugschluss, den wir üblicherweise den vermeintlichen Sexisten, Chauvinisten und Populisten vorwerfen: Wir verallgemeinern.
Wir nehmen die Tat eines Einzelnen, um zu zeigen, dass „diese Sorte von Menschen alle gleich sind“.
In Macerata wird derzeit Innocent O. der Prozess gemacht. Dem Drogendealer wird vorgeworfen, ein 18-jähriges Mädchen getötet und dann deren Leiche zerstückelt zu haben. Alle Indizien sprechen dafür, dass es sich um einen mehrfach vorbestraften Einzeltäter handelt.
Aber Innocent O. stammt aus Nigeria – außerdem handelt es sich bei ihm um einen Migranten, der bereits ausgewiesen worden ist und sich gar nicht in Italien aufhalten dürfte. Diese Merkmale haben zur Folge, dass seit der Bluttat im Januar 2018 immer wieder die Formel in den Raum gestellt wird: „Illegaler Migrant – kriminell“. Will heißen: „Die sind alle so.“ Oder um es mit dem eleganten, aber nicht weniger heftigen Satz auf den Punkt zu bringen: „Dabei dürfen wir nicht vergessen, aus welchem Haus er kommt.“
Ich nehme an, in diesem Fall würde Brigitte Foppa heftig protestieren. Obwohl die Etikettierung ja nicht unbegründet ist: Migranten werden tatsächlich häufiger kriminell als Nichtmigranten; ebenso ist es aktenkundig, dass Leghisti überdurchschnittlich oft ein animalisch-sexistisches Vokabular verwenden: Lega-Spitzenpolitiker Roberto Calderoli wurde erst vor einem Monat zu einer Gefängnisstrafe von 1,5 Jahren verurteilt, weil er 2013 die damalige Integrationsministerin Cécile Kyenge mit einem Orang-Utan verglichen hatte.
Von der Kollektivschuld zum Feindbild, das sich je nach politischer Couleur beliebig einsetzen lässt, ist es ein kleiner Sprung. Es ist ein Sprung auf ein Terrain, das die Populisten für ihre Hasskampagnen erobert haben – und außerdem den praktischen Nebeneffekt hat, von der persönlichen Verantwortung abzulenken: Wenn Innocent O. getötet hat, dann ist er zur Rechenschaft zu ziehen. Dass er aus Nigeria stammt und gar nicht hätte in Italien sein dürfen, erklärt und entschuldigt nichts. Egal, wie säumig der Staat war, und egal, in welcher Situation sich der Mann befand, für seine Tat hat er geradezustehen.
„Tutti colpevoli, nessun colpevole“: Das Sprichwort meint nicht nur den Täter, der darauf spekuliert, zum unschuldigen Mitläufer oder gar Opfer zu werden. Es meint auch die verlockende Versuchung, in die immer kompliziertere Welt mit Klischees und Feindbildern zumindest ein bisschen „Ordnung“ zu bringen. Dabei taugen „die Migranten“ und „die Leghisti“ weder als Erklärung noch als Entschuldigung.
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