Leitartikel

Von wegen super

Aus ff 21 vom Donnerstag, den 23. Mai 2019

Zitat
© FF-Media
 

Will Südtirol attraktiv genug für neue Ärzte und Pfleger sein, dürfen die Verantwortlichen die Personalentwicklung des Betriebes nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Die vergangenen Jahre waren im Südtiroler Gesundheitswesen Jahre der Krisen, des Aufbegehrens und der Kassandrarufe. Kassandra, das ist in der antiken Mythologie die Tochter des Königs Priamos von Troja – sie sieht immer das Unheil voraus, findet aber nie Gehör.
– „Wir müssen auf die Personalentwicklung setzen.“ – „Gute Personalpolitik wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor.“ – „Es braucht Bestrebungen seitens der Politik, nicht nur gute Ärzte aus dem Ausland zu holen, sondern auch die guten Ärzte im Land zu halten.“ –
So und so ähnlich lauteten die Kassandrarufe Südtiroler Ärzte in den vergangenen vier Jahren (alle in diesem Magazin). Zwar fanden sie zwischendurch Beifall, verhallten aber letztlich. Die jüngsten Ereignisse zeigen das ganz deutlich.
2017 ließen 139 Angestellte den Sanitätsbetrieb hinter sich, 2018 waren es 268. Angesichts der Bevormundung durch gesetzliche und verwalterische Vorschriften, einer oft unangemessenen Bezahlung, zunehmender Belastung und mangelnder Wertschätzung suchten viele ihre Zukunft lieber in der Privatmedizin oder im ­Ausland.
Erst jüngst kündigten zwei Bozner Primare ihren Abgang an, ebenso der Sanitätsdirektor. Damit wirft eine der Schlüsselfiguren im Sanitätsbetrieb das Handtuch – nach nur 15 Monaten. Weil er, so seine offizielle Begründung, wieder als Hausarzt arbeiten wolle. Auch der Verwaltungsdirektor ist weg – nach vier Monaten.
Dass die Führungsspitze des Betriebes die Situation als harmlos darstellt, verwundert, gelinde gesagt. Bei einem Betrieb dieser Größenordnung sei eine Fluktuation von ein bis zwei Prozent ein „super Ergebnis“, so der Gesundheitslandesrat. Ähnlich der Generaldirektor: Kein Anlass zur Sorge, es gebe bei Weitem keine „Flucht“. Den Abgang des Sanitätsdirektors kommentierte der Landesrat gar mit den Worten, der Schritt sei ein „positives Signal für den Beruf des Hausarztes“.
Angesichts solcher Aussagen weiß man nicht so recht, ob man bewundernd schmunzeln soll ob der pragmatischen Zuversicht dieser Herren oder ungläubig gucken soll. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass man derlei Entwicklungen auf die leichte Schulter nehmen könnte. Jeder Abgang eines erfahrenen Pflegers oder Arztes kann Gesundheitswesen und Patienten in Bedrängnis bringen. Abgänge von Führungskräften schmälern das Vertrauen in das Gesundheitswesen. Auch gehen wertvolle Erfahrungen verloren.

In diesem Sinne nervt die Gesundheitspolitik manchmal gewaltig. Man hat zuweilen das Gefühl, Bill Murray im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ zu sein. Darin spielt er einen TV-Meteorologen, der immer wieder denselben Tag erlebt. Das Leben wird zum Alptraum. Ähnlich in Südtirols Gesundheitspolitik. Dieselben Probleme, Diskussionen, Phrasen. Nur die Akteure wechseln von Zeit zu Zeit.
Der Gesundheitslandesrat verweist auf die Gastronomie und andere Unternehmen, die mit einer Fluktuation von unter zwei Prozent glücklich seien. Nun, Medizin ist kein Wirtschaftszweig wie jeder andere. Und auch eine Studie hier und eine Kommission dort werden die faulen Stellen im Gesundheitsbetrieb nicht heilen.
Das Gesundheitswesen wird nicht zusammenbrechen, nur weil einige Primare und Pfleger gehen. Südtirol hat einen hohen medizinischen Standard. Trotzdem muss man Wegmarken versetzen, will man, dass das Land attraktiv für neue Ärzte und Pfleger ist – und sich das öffentliche System gegen die stetig wachsende Privatmedizin behauptet.
Die Strukturen müssen sich ändern. Die Schnittstellen im Betrieb müssen mit fähigen Personen besetzt werden. Gesundheitspolitik muss unter rationalen, nicht emotionalen Gesichtspunkten gemacht, die Ärzte müssen einbezogen werden. Die medizinische Leistung muss im Vordergrund stehen, und nicht technische Vorgaben. Es braucht eine Strategie, eine wirtschaftliche, aber vor allem eine klinische.
Vielleicht gelingt es dem neuen General­direktor und dem neuen Landesrat ja, die End­losschleife von ausufernder Bürokratie, mangelnder Flexibilität, fehlendem Mut und kleinkarierter Mentalität zu stoppen.
Kassandra wurde am Ende erdolcht. Eine kleine Hoffnung gibt es allerdings doch: Im Film entkommt Bill Murray zum guten Schluss der Zeitfalle. 

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