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Leitartikel
Jedes legt noch schnell ein Ei
Aus ff 22 vom Donnerstag, den 30. Mai 2019
Die SVP und ihre Arbeitnehmer klammern sich aneinander wie Ertrinkende. Für die Auferweckung des sozialen Flügels braucht es aber mehr als eine neue Führung oder eine x-te Reorganisation.
Wer kennt sie nicht, die Streiche von Max und Moritz, die Bubengeschichte von Wilhelm Busch. Im ersten Streich, wo die zwei die Hühner der Witwe Bolte ködern und am Ende am dürren Ast eines Baumes hängen, heißt es: „Und ihr Hals wird lang und länger, ihr Gesang wird bang und bänger.“ Dieser Vers beschreibt gut die Lage des sozialen Flügels der Südtiroler Volkspartei.
Zwar sind die Arbeitnehmer (ABN) zahlenmäßig die stärkste Richtung in der SVP. Auch ist es ihnen gelungen, bei der Bildung der Landesregierung Soziales, Senioren, Familie sowie den Wohnbau wieder in ihre Zuständigkeit zu holen. Aber damit ist auch schon alles gesagt. Kurzum: Die Genossen unterm Edelweiß befinden sich in einer elenden Lage – nicht erst seit heute. Trotz aller Bemühungen stellen sich keine Erfolge ein, vom alten Selbstbewusstsein ist wenig übrig, und das Gefühl für die eigene Identität ist verloren gegangen.
„Die Leidensfähigkeit ist endgültig erreicht.“ – Wie oft hat man diesen Satz in den vergangenen Jahren von den ABN gehört! Einen Weg aus dem Jammertal haben sie trotzdem nicht gefunden, sodass man geneigt ist zu glauben, sie seien mit einem ans Devote grenzenden Willen zur Selbstkasteiung ausgestattet.
Jetzt liegen sie einmal wieder krank danieder. Und einmal wieder fällt vielen nur das Naheliegende ein: Könnte man den Trendwechsel nicht mit einer neuen Führung schaffen? Und: Sollte man sich nicht auch „von der Basis her erneuern“? Es fragt sich nur: welche Basis?
Helmuth Renzler, Vorsitzender seit 2014, hat es nicht geschafft, der Bewegung Kraft und Begeisterung einzuhauchen. Mancher Arbeitnehmer äußert schon länger Kritik an ihm. Ein „Paukenschlag“ ist sein Rücktritt und der seiner Stellvertreterin nicht. Bereits im vergangenen Jahr hatte er erklärt (auch gegenüber ff), sein Amt dieses Jahr niederzulegen.
Wenn die Genossen jetzt ankündigen, künftig würden sie in der Partei „nicht mehr nur bellen, sondern auch beißen“, dann ist das schön und gut. Nur, so recht daran glauben mag man nicht mehr.
Das Feuer im sozialen Flügel glimmt nur noch schwach. Um die Reste des alten Feuers drängen sich einige wenige, von denen jeder auf seine Art versucht, in die Glut zu blasen. Auch die „Mutterpartei“ trägt einen Teil zum ABN-Dilemma bei: Sie hat in den vergangenen Jahren konträre Debatten gar nicht erst aufkommen lassen. Eine Wir-haben-uns-alle-lieb-Partei hilft aber keinem weiter.
Jetzt stehen die SVP-Arbeitnehmer vor einer mehrfachen Herausforderung. Sie spüren den Wunsch, der Sammelpartei SVP nicht mehr bloß als Feigenblatt zu dienen. Auch müssen sie eine Frage beantworten: Wie das sozialpolitische Profil schärfen angesichts des Umbruchs in der Arbeitswelt? Bei den radikalen Veränderungen braucht es große konkrete Ideen, die nicht im politischen Klein-Klein stecken bleiben.
Mit einem Einfach-so-Weitermachen wird es nicht getan sein. Dafür ist die sozialdemokratisch-ökonomische Konkurrenz mit den Grünen oder auch dem Team Köllensperger zu groß. Anders als in Vergangenheit wird sich die Öffentlichkeit nicht sonderlich dafür interessieren, was die SVP-ABN denken.
Die ABN müssen zeigen, dass sie nicht nur fordern, sondern auch handeln und durchsetzen können. Und die SVP insgesamt ist gefordert, in die Zukunft weisende strukturelle Veränderungen anzustoßen und sich, so wie die ABN, die Frage zu stellen: Sind wir als Partei (als Bewegung) für eine offene Gesellschaft des 21. Jahrhunderts überhaupt noch zeitgemäß?
Lange ist es der SVP gelungen, Südtirol in seinen Widersprüchen abzubilden. Jetzt tut sie sich immer schwerer, die Fliehkräfte zusammenzuhalten.
Eine kräftige Sozialdemokratie ist immer auch eine Kraft für die Demokratie. Die EU-Wahl hat gezeigt, dass vielleicht noch nicht alles verloren ist. Während die Sozialdemokraten in Deutschland und Österreich verloren haben, sind sie in den Niederlanden und Spanien zur stärksten Partei gewählt worden. Und in Italien hat es der PD mit 23,5 Prozent auf Platz zwei gebracht.
Potenzial ist vorhanden – in Südtirol nicht nur innerhalb der SVP. Es muss nicht enden wie mit den Hühnern bei Max und Moritz: „Jedes legt noch schnell ein Ei. Und dann kommt der Tod vorbei.“
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