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Leitartikel
Die Macht und ihr Preis
Aus ff 24 vom Donnerstag, den 13. Juni 2019
Den Stuhl aus freiwilligen Stücken räumen: Das hat man unter Politikern nicht oft. Darf ein Politiker das aber – einfach gehen?
Die einen tun es, obschon sie es nicht unbedingt müssten, die anderen sträuben sich, obwohl sie eigentlich müssten, und wiederum andere drohen nur damit. Ein Rücktritt kann eine peinliche Angelegenheit sein, er kann aber auch ein respektvoller Akt sein. In diesen Tagen wird viel über politische Rücktritte gesprochen und gelesen. Der italienische Premier Giuseppe Conte beispielsweise drohte jüngst mit Rücktritt, sollten seine beiden Stellvertreter Matteo Salvini und Luigi di Maio nicht bald damit aufhören, sich täglich mit „fruchtlosen Polemiken“ untereinander zu bekämpfen.
Die Partei- und Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Andrea Nahles, kündigte nach der Europawahl an, sich von allen Ämtern zu verabschieden. Die britische Premierministerin Theresa May räumt ihren Posten als Chefin der Konservativen Partei und wird nur noch übergangsweise als Premierministerin arbeiten.
Bozens Vizebürgermeister (SVP) Christoph Baur tritt zurück, weil er nicht seine Stimme geben kann zum Projekt zur Vergabe des Bahnhofsareals an einen privaten Großinvestor.
Und die Südtiroler Freiheit (STF) fordert gar den Rücktritt des Landeshauptmannes wegen der Entscheidung der Landesregierung, vor dem Landtag eine Art „Demonstrationsverbot“ einzuführen. „Der Skandal zeigt, dass Landeshauptmann Kompatscher heillos überfordert und rücktrittsreif ist“, so die STF.
In Ländern wie Italien oder auch Österreich ist der Sitzmuskel vieler Politiker ein ziemlich zäher Muskel. Auch in Südtirol gibt es keine besonders hoch entwickelte Rücktrittskultur. Wenn der Vizebürgermeister der Landeshauptstadt nun also ankündigt, seine Siebensachen zu packen, ja, dann mutet das, vordergründig betrachtet, schon fast heldenhaft an. Wer bitte gibt schon aus freien Stücken die Macht auf?
Wer freiwillig und ohne öffentlichen Druck einen Schritt zurücktritt, klebt nicht an seinem Stuhl. Er konterkariert mit dem Rückzug ein weitverbreitetes Bild, das man von Politikern hat: Die Politik ist eine Droge, und alle Politiker sind machtversessen und Junkies. Der freiwillige Rückzug – wünscht man sich nicht genau so etwas von den eigenen Politikern?
Nun, ein gewisses Maß an Misstrauen bleibt trotzdem, denn nicht immer stimmen die offiziellen Begründungen für einen Rückzug. Dieser hat zumeist mehrere Gründe, jedoch nicht alle werden genannt. Rücktritte gehören durchaus zur demokratischen Normalität. Oft zeigen sie aber auch demokratische Störfälle auf. Der Abgang von Baur ist ein gutes Beispiel dafür.
Es ist kein Geheimnis, dass der Vizebürgermeister hinsichtlich des Bahnhofsareal-Projektes seit jeher anderer Meinung ist als Bürgermeister Renzo Caramaschi. Bereits im vergangenen Sommer hatte es mehrere Krisensitzungen deshalb gegeben – Caramaschi hatte durchklingen lassen, dass er seinen Vize als Klotz am Bein empfinde. SVP-Parteiobmann Philipp Achammer sagte damals, man akzeptiere es als SVP nicht, dass Caramaschi „die Rolle des deutschen Vizebürgermeisters schmälert“. Er müsse die „wesentliche Rolle der SVP als Koalitionspartner und auch jene des deutschen Vize akzeptieren“.
Jetzt tritt der Vize zurück. Weil er findet, die Vergabe an einen Großinvestor sei eine „vertane Chance der Stadt Bozen“, mit neuen Siedlungsformen zu arbeiten. Deshalb könne er seine Stimme zu diesem Projekt nicht geben und trete aus dieser Konsequenz zurück. Solche Geradlinigkeit ist selten im Bozner und im Südtiroler Politikbetrieb. Selten sind Rücktritte wegen inhaltlicher Fragen, wegen eines Gewissenskonflikts und nicht wegen eines Fehlverhaltens. Die Frage, die man sich dennoch stellen kann: Handelt der Vizebürgermeister verantwortungslos? Sollte ein Politiker nicht immer auch einen langen Atem mitbringen?
Nun, Baurs Schritt steht auch für eine Normalisierung des Politischen. Das ist durchaus positiv. Ein Politiker kann und darf gehen.
Weniger positiv dürfte sich sein Schritt auf die Bozner Stadtkoalition sowie seine Partei, die SVP, auswirken. Baurs Rückzug könnte der Beginn so einiger kriselnder Situationen innerhalb der Koalition und SVP sein. Weil, nach einem Rücktritt eines stellvertretenden Bürgermeisters der Landeshauptstadt kann eigentlich niemand einfach so wieder zur Tagesordnung übergehen.
Ein Rücktritt ist – für alle Beteiligten – immer auch eine Chance zur Selbsterneuerung. Und für einen Neuanfang.
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