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Leitartikel
Die Fahne der Freiheit
Aus ff 37 vom Donnerstag, den 12. September 2019
Pünktlich zum Schulstart versammeln sich die Impfgegner vor dem Landtag. Sie protestieren gegen den Ausschluss von ungeimpften Kindern vom Kindergarten. Werden die Kinder zu Recht ausgeschlossen?
Die Glocken der Schulen hatten noch nicht zum ersten Schultag geläutet, da waren sie schon zu hören: die Impfgegner. Im Radio. Drei Tage vor Schulbeginn auf Rai Südtirol. Grund für die Sendung war der Ausschluss von nicht geimpften Kindern vom Kindergarten.
Wer bis zum Start des Kindergartenjahres nicht geimpft war und auch keinen Impftermin vorweisen konnte, musste zu Hause bleiben. In Südtirol sind das über 100 Kinder. Tags darauf, am Freitagabend vergangener Woche, versammelten sich die Impfgegner zur Lichterdemo vor dem Landtag, um für Impffreiheit zu demonstrieren.
Dabei war es um die Impfgegner nach dem Ausscheiden ihres Sprachrohres Andreas Pöder aus dem Landtag ruhig geworden. Kurz vor Schulstart kamen sie auf Rai Südtirol wieder zu Wort. Moderatorin Jutta Wieser zeigte sich gegenüber den „Impfgegnern“ sehr kulant: Diesen Begriff wolle sie nicht in den Mund nehmen – „Impfkritiker“ oder „Impfskeptiker“ treffe die Sache eher.
Im Hörerforum sollte der Frage auf den Grund gegangen werden, ob Kinder nicht zu impfen unverantwortlich sei – oder nicht. Oder um es im Moderatorinnen-Sprech wiederzugeben: „Sind die Eltern unverantwortlich, oder halten sie die Fahne der Freiheit hoch?“
Die Kindergärtnerinnen sollen die Carabinieri rufen, „falls die Familie sich nicht einsichtig zeigt und den Kindergarten nicht verlässt“, heißt es in einem Leitfaden der Landesbildungsdirektion. Das scheint übertrieben. Im Gegensatz zur Maßnahme, Kinder vom Kindergartenbesuch auszuschließen, die der Impfpflicht nicht nachkommen.
In den Schulen hingegen können nur Bußgelder für Impfverweigerer verhängt werden. Die Schulpflicht verhindert einen Ausschluss von Kindern vom Unterricht. Und das ist gut so. In der Schule sollten die Kinder das Rüstzeug an die Hand bekommen, um es vielleicht einmal besser zu wissen als ihre Eltern.
Nämlich, dass Impfen schützt. Erst durch die Herdenimmunität, die bei einer Durchimpfungsrate von 95 Prozent der Bevölkerung erreicht ist, sind Kleinkinder, alte Menschen und Personen, die nicht geimpft werden können, geschützt. Genau jene, die den Schutz von Impfungen bezweifeln, profitieren von diesem Schutz. Aber die Durchimpfungsrate in Südtirol sinkt. Seit Jahren. Bei rund 70 Prozent liegt sie bei Masern, Mumps, Röteln.
Das umstrittene Thema Impfen der Hörermeinung zu überlassen, ist nicht nur gewagt, sondern fast schon fahrlässig. Die ganze Sendung kippte dann auch stark in Richtung „Impfskeptiker“. Es gibt wissenschaftliche Studien, Daten und Fakten – das wären, neben den persönlichen Überzeugungen, Stimmen, die richtigen Beiträge gewesen. Die Argumentation der Impfgegner ist letztlich die immer gleiche: Studien und Doktoren sind von der Pharmaindustrie bezahlt, Impfschäden werden nicht anerkannt und unter den Teppich gekehrt, die Ärzte übernehmen keine Verantwortung für Impfschäden.
Es stimmt, die Pharmaindustrie verdient Geld mit Impfstoffen. Am Gesamtumsatz der Industrie machen Impfstoffe aber lediglich 4 Prozent aus. Auch Impfschäden werden in Italien sehr wohl registriert und anerkannt. Nur, es gibt sie fast nicht.
In den letzten zwei Jahren gab es in Südtirol 30 registrierte Masernfälle, ihr Risiko für eine gefährliche Gehirnhautentzündung liegt bei 1 zu 1.000. Zum Vergleich: Bei einer Impfung kommt es bei 1 von 1.000.000 der Fälle zu Komplikationen. Impfschäden, die über lokale Rötungen oder Fieber hinausgehen, gibt es in Südtirol fast nicht.
Gerade ein solch wichtiges Thema wie das Impfen sollte nicht zur Glaubenssache erklärt und Laien überlassen werden. Oder wie wär’s mit einer Hörersendung zum Thema: Fahren ohne Führerschein – handeln solche Fahrer unverantwortlich oder halten sie die Fahne der Freiheit hoch?
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