Warum der Traum vom Eigenheim für viele unerreichbar ist: Titelgeschichte in ff 36/19.
Leitartikel
Die „Freunde“ der Frauen
Aus ff 39 vom Donnerstag, den 26. September 2019
Die Politik tritt für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. In der Theorie. Die Praxis belegt das nicht. Darunter leiden die Frauen. Die Politik hat die Pflicht, das zu ändern.
In Südtirol arbeiten weniger Frauen als Männer. Immer noch. Die Zahl der Frauen, die nach einer Geburt kündigen, steigt. Die Politik will das Gegenteil, das heißt, mehr als wollen tut sie es verkünden. Die Botschaft ist: Familie und Beruf sollen vereinbar sein, Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub wieder zur Arbeit zurückkehren können. So, dass Frauen nicht in der Mühle Hausarbeit-Kindererziehung-Beruf aufgerieben werden.
Warum kündigen Frauen nach einer Geburt, warum sind immer noch weniger Frauen berufstätig als Männer?
Es kann, erstens, eine freie Entscheidung sein. Mutterliebe eben. Mutterliebe? Die Mutterliebe, die Frauen an Kinder fesselt, ist eine gesellschaftliche Konstruktion. Sie schlägt sich in der Realität nieder, wenn Frauen sich selber bezichtigen, eine Rabenmutter zu sein.
Es ist, zweitens, einer Kultur geschuldet, die immer noch meint, der Platz der Frauen sei am Herd, während der Mann sich abrackert und das Geld heimbringt. Wir wollen optimistisch sein und glauben, dass nur mehr eine Minderheit (an Männern) dieser patriarchalen Kultur anhängt.
Es liegt, drittens, in der Verantwortung der Männer, ihren Teil an Kindererziehung und Hausarbeit zu übernehmen. Verbal sind sie darin schon ganz gut, aber sie neigen dazu, ihren Anteil zu überschätzen.
Es liegt, viertens, in der Verantwortung der Arbeitgeber, die Rückkehr an den Arbeitsplatz gemäß den Bedürfnissen der Frauen zu gestalten. Verbal haben sie schon einen Schritt getan, sie werden sich hüten zu sagen, dass Mütter eine Belastung für einen Bertrieb sind. Aber in der Realität? Wie viele Betriebe bieten eine Kita, eine Kindertagesstätte, an?
Das Wichtigste aber sind die Strukturen, die Frauen ermöglichen, Beruf und Familie zu vereinbaren, in den Beruf zurückzukehren – in der gleichen Position wie zuvor und mit der Aussicht auf Karriere. Die Voraussetzungen dafür muss die Politik schaffen. Genügend Plätze in Kitas zum Beispiel. Ist es so verkehrt, einen Kita-Platz für alle Kinder zu fordern? Hier wiederum spielt ein konservatives Familienbild hinein, das mit „Herdprämien“ Frauen dazu verleitet, gegen Geld daheim zu bleiben, die Arbeit zu kündigen, statt wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren.
Frauen verdienen weniger. Frauen machen seltener Karriere. Frauen bekommen weniger Pension. Eben weil Frauen oft noch zwei Jobs machen. Zuhause und am Arbeitsplatz. Weil die Familien nicht wissen, wohin mit den Kindern. Im Sommer nicht, und jetzt auch nicht im Rest des Jahres.
Denn die Landesregierung hat einen Beschluss gefasst, der ihren Verlautbarungen und dem Regierungsprogramm widerspricht, wenn es um Erleichterungen für Familien, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht.
Kinder unter drei Jahren werden nicht mehr in den Kindergarten aufgenommen. Kinder unter drei Jahren, sagen Erzieherinnen, gehören nicht in den Kindergarten. Manche brauchen noch eine Windel, manche sind noch nicht so weit, um den Inhalten des Kindergartens folgen zu können.
Diese Einwände muss man ernst nehmen, die Maßnahme entlastet den Kindergarten, der händeringend nach Personal sucht – aber was ist in Zukunft, wenn noch mehr Kindergärtnerinnen in Pension gehen und der Personalmangel noch drückender wird. Aber die Maßnahme belastet die Familien: Sie belastet sie emotional und finanziell. Welche Alternativen gibt es, und was kosten sie – jedenfalls viel mehr als ein Platz im Kindergarten.
Es ist zu befürchten, dass vor allem die Frauen die Leidtragenden dieses Beschlusses sind. Er ist nicht familienfreundlich, und frauenfreundlich schon gar nicht. Tut etwas, ihr Politiker, das ist eure Pflicht. Etwa einen Platz in einer Kita und im Kindergarten zu garantieren.
Frauen haben gleiche Rechte, theoretisch, auf dem Papier, in den Proklamationen der Politiker. Aber nicht in der Wirklichkeit einer von Männern dominierten Gesellschaft. Pocht auf eure Rechte und euren Platz, ihr Frauen, auch wenn es uns Männern wehtut!
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