Leitartikel

Parlament der „Sardinen“

Aus ff 51 vom Donnerstag, den 19. Dezember 2019

Zitat
Zitat © FF Media
 

Die „Sardinen“ sind die neue Bewegung in der italienischen Politik. Doch um wirklich Wirkung zu entfalten, müssen sie ihre Anliegen von den Plätzen in die Parlamente tragen.

Die „Sardinen“ sind jetzt auch in Bozen angekommen – einige Hundert versammelten sich am vergangenen Freitag auf dem Mazziniplatz und redeten und sangen Lieder. Das Ziel ist es, so eng wie in einer Sardinenbüchse nebeneinander zu stehen.
So schön kann Demokratie sein.
Die „Sardinen“ sind eine jener Bewegungen, die plötzlich groß werden – genährt von den sozialen Netzwerken. Auch wenn sie hier nicht autoritär von oben, sondern von unten gebraucht werden, wie der Südtiroler Filmemacher Gustav Hofer vergangene Woche richtigerweise im Interview mit ff (50/19) festgehalten hat. Die „Sardinen“, deren erstes Anliegen es war, mehr Menschen auf die Plätze zu bringen als Lega-Führer Matteo Salvini, werden von den Medien hofiert, gehätschelt oder auch angegriffen – aber selten kühl analysiert. Und die alten Bewegten wanzen sich an die jungen Bewegten heran – natürlich ohne ­irgendwelche Absichten zu verfolgen. Die Parteiengesichter sind ganz privat bei den Demos der „Sardinen“.
Der mediale Hype ist eine Gefahr, denn damit wachsen die Begehrlichkeiten, es schälen sich die Leute heraus, die gerne in der Öffentlichkeit stehen. Und etwas werden wollen, je öfter sie gefragt werden oder auf den Plätzen das Wort haben oder ergreifen. Der Leaderismo ist eine Gefahr für jede Bewegung, zu deren DNA die Strukturlosigkeit gehört. Das werden eher früher als später auch die „Sardinen“ merken.
Die „Sardinen“ sind für die linksliberale Reichshälfte jetzt die Retterinnen und Retter des Landes, von der anderen Hälfte werden sie belächelt, verspottet oder verleumdet. Die „Sardinen“ sind gut, lehnen Rassismus ab, feiern den Antifaschismus, verbieten auf ihren Versammlungen Hassparolen, fordern die Rückkehr der Rationalität in die Politik, konkrete Projekte statt Parolen. Die „Sardinen“ sind gut gelaunt. Und die Musikliste ist gut kuratiert.
Wer wollte schon dagegen etwas sagen, gegen gute Musik, gute Laune, gute Absichten und gute Menschen? Die „Sardinen“ zeigen: Die Menschen haben Lust auf Politik, haben genug von der herkömmlichen Art, Politik zu machen, vom Pfauengehabe, vom Gemauschel im Palazzo.
Eine Partei wollen die „Sardinen“ nicht werden. Nur das nicht! In den Augen von Bewegten sind Parteien ein Übel. Wenn nicht das Übel.
Aber, mit Verlaub, wie sonst soll Demokratie funktionieren? Mit Volksabstimmungen? Volksversammlungen auf Plätzen? Abstimmungen im Netz? Naivität hat etwas Gewinnendes. Aber tragfähig ist sie nicht lange.
Bewegungen sind sehr volatile Wesen. Was man zum Beispiel sehr gut an den 5 Stelle ablesen kann. Eine Partei ohne feste Überzeugungen wie die 5 Stelle ist auf schwankendem Boden gebaut, wird im raschen Wechsel der Emotionen verblasen. Eine Bewegung, die auf guten Absichten gebaut ist wie die „Sardinen“, riskiert ein ähnliches Schicksal. Auch wenn die Überzeugungen fest sind.
Auch wenn ich mich an dieser Stelle wiederhole: Demokratie ist ein mühsames Geschäft. Man muss sich auf sie einlassen, auf das Mühselige, das Kleinklein, das sie mit sich bringt. Die tägliche Arbeit. Jeder weiß aus Erfahrung, dass es etwa in einem Haushalt nicht nur erfreuliche Tätigkeiten gibt: Nach dem Festessen kommt immer auch das Aufräumen.
Es kann also nicht dabei bleiben, die Plätze zu besetzen, sich mit Matteo Salvini ein Wettrennen zu liefern, sich an den Händen zu fassen, eine Liste mit Forderungen zu formulieren, die gut klingen und die viele vernünftige Menschen unterschreiben können. Man sieht es an „Fridays for Future“: Viele Sympathien gewonnen, die Wissenschaftler für sich eingenommen, aber noch nichts erreicht.
Wer Politik machen will, muss sich einmischen. Und sich die Hände schmutzig machen. Das bedeutet, entweder selber bei Wahlen anzutreten – die eigenen Anliegen also in die Parlamente zu tragen, in Parteien einzutreten, oder eine Wahl­empfehlung abzugeben. Wie sonst will man Matteo Salvini und seine rechten Kameraden aufhalten, die schönen Parolen in Taten umsetzen? Nur so ist eine Politik sachlich, vernünftig, human, ohne Wutgeschrei, wie die „Sardinen“ sie fordern.

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.