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Leitartikel
Kleine globale Welt
Aus ff 06 vom Donnerstag, den 06. Februar 2020
Das Coronavirus zeigt, dass in unserer globalen Ordnung nichts selbstverständlich ist.
Wuhan ist eine Millionenmetropole in der Provinz Hubei, gelegen am Fluss Jangtse. Elf Millionen Menschen leben dort, mehr als in New York City. Es gibt drei Bahnhöfe, den größten Binnenhafen Chinas, mehrere Verbindungen wie jene von Peking nach Hongkong gehen über Wuhan. Wuhan ist die siebtgrößte Stadt Chinas.
Bis vor wenigen Wochen ist diese Stadt in Zentralchina wahrscheinlich gerade mal Chinawissenschaftlern ein Begriff gewesen. Mittlerweile kennt die ganze Welt Wuhan. Die Stadt ist zum Synonym für eine Seuche geworden. Wuhan ist die Stadt, aus der das Coronavirus stammt.
Der Fall zeigt, wie vernetzt und damit anfällig die Welt ist. Binnen Kurzem kann eine Krankheit von einem chinesischen Tiermarkt bis nach Frankreich und in den Süden Münchens gelangen. Auch die Börse ist im Bann des Virus. Die Fluggesellschaften Lufthansa und British Airways stellen Flüge von und nach China ein. Der Autobauer Toyota stellt den Betrieb in den Werken in China ein. Volkswagen lässt seine Mitarbeiter in Peking von daheim aus arbeiten. Der internationale Skiverband Fis sagt die geplanten alpinen Weltcup-Rennen der Männer in Yanqing ab.
Es ist beeindruckend, wie stark eine Krankheit die Welt in Unruhe versetzt. Die Welt ist in Zeiten der Globalisierung klein geworden.
Globalisierung gab es immer schon, seit Menschen Handel treiben können. Ein Prozess, der freilich in den vergangenen Jahrzehnten eine unvergleichliche Beschleunigung erlebt hat. Globalisierung ist eine wirtschaftlich-politische Urgewalt. Sie zu zähmen, ist nicht leicht.
Wenn wir von Globalisierung reden, geht es meist um das Zusammenwachsen der Welt in Bereichen wie Wirtschaft oder Kommunikation. Aber nicht nur Menschen und Waren reisen heute in wenigen Stunden um die Welt, auch Krankheitserreger. Und so wächst die Welt auch immer mehr in medizinischen Problemen zusammen.
Das Coronavirus und seine Folgen zeigen, wie anfällig unsere global vernetzte Welt ist. Es kann aber auch eine Chance sein – gerade in einer Zeit, in der viele Länder lieber in die Isolation gehen, weil sie von Europa, von der Welt wenig halten und nur ihr eigenes Land „first“ sehen wollen. Es zeigt sich auch bei dieser aktuellen Herausforderung – so wie auch beim Klimawandel oder auch bei den Flüchtlingen: Ein Land allein kann derlei nicht bewältigen. Die weltweite Verbreitung des Virus braucht eine enge internationale Zusammenarbeit. Die öffentlichen und privaten Gesundheitsstrukturen aller Länder sind gezwungen, sich umzuorientieren. Unternehmen sollten flexibel auf die Bedrohung reagieren.
Die neue Seuche zeigt, dass nichts von unserer globalen Ordnung selbstverständlich ist. Ohne den Menschen als Grundlage für die vernetzte Weltwirtschaft geht nämlich gar nichts. Erst kommt der Mensch und seine Gesundheit – erst darauf kann alles andere dann aufgebaut werden.
In Teilen mag vieles von der genannten Zusammeneinarbeit zurzeit gelingen. Es herrschen aber vielfach auch Angst, Misstrauen und leider auch Rassismus. Schneller noch als das Virus verbreiten sich über die sozialen Medien viele Gerüchte über die Krankheit. Und damit auch sehr viel Unsinn.
Es fällt jetzt leichter denn je, in China eine Bedrohung zu sehen. Asiatisch aussehende Menschen werden mittlerweile ausgegrenzt, weil sie mit dem Erreger in Verbindung gebracht werden – Chinesen werden grad gemieden wie die Pest. In Frankreich teilen Betroffene unter dem Hashtag #JeNeSuisPasUnVirus („Ich bin kein Virus“) ihre rassistischen Erfahrungen. Und viele beginnen jetzt – ähnlich wie in Deutschland nach der sogenannten Flüchtlingskrise –, die Offenheit der Grenzen und die globale Vernetzung mehr zu fürchten denn ihre Vorteile zu schätzen.
Wie Wuhan ist auch Oran zum Symbol geworden – zumindest in der Literatur. Der Tod ist plötzlich da in Oran. Das Sterben beginnt damit, dass die Ratten infiziert sind – die Stadt ist von der Pest heimgesucht. Albert Camus beschreibt in seinem Werk „Die Pest“, wie die einen Menschen sich mit der Seuche arrangieren, ja, sogar davon profitieren. Und wie andere Menschen sich aufopfern und helfen, Quarantänemaßnahmen werden ergriffen, in der Stadt wird der Ausnahmezustand erklärt. Eine geschlossene Gesellschaft, die auf eine tödliche Bedrohung reagiert. Den Arzt Bernard Rieux lässt der Autor sagen: Er wisse, „was man in Plagen lernt, nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt“.
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