Leitartikel

Navigieren auf Sicht

Aus ff 16 vom Donnerstag, den 16. April 2020

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Eine Gebrauchsanleitung für den Umgang mit Corona gibt es leider nicht. Also tastet sich jeder irgendwie durch die Krise. Auch die Politiker.

Diese Krise ist umfassend, lebensbedrohlich und völlig neu, für jeden. Auch Politiker haben so etwas noch nie erlebt. Auch sie befinden sich in unbefahrenen Gewässern. Sie navigieren auf Sicht. Nicht weil sie wollen, sondern weil es nicht anders geht. Das sollte sich jeder in Erinnerung rufen, bevor er sie kritisiert. Es ist ja verständlich und sehr in Mode gekommen „die da oben“ bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu kritisieren. Zweifel und Kritik sind das Lebenselixier der Demokratie. Und die Bürger haben in diesen schwierigen Wochen viele dringende und berechtigte Fragen.
Beispiel Schutzlieferung: Warum hat man nicht sofort kommuniziert, dass die aus China gelieferten Schutzmasken mangelhaft sind? Die Mängel waren frühzeitig bekannt.
Beispiel Antholz: Vor den Abschlussrennen der Biathlonweltmeisterschaft Ende Februar ging von der Regierung in Rom die Überlegung aus, alle sportlichen Großveranstaltungen nur noch ohne Publikum zu genehmigen. In der Folge hätte das bedeutet, die beiden Abschlussrennen nicht mehr durchzuführen. Man brachte die WM dann doch regulär zu Ende. Corona hin oder her.
Beispiel Mundschutz: „Für einen normalen Bürger“, sagte Sanitätsdirektor Pierpaolo Bertoli Ende Februar gegenüber diesem Magazin, „sind solche Schutzmasken wenig nützlich.“ Jetzt aber gilt die Schutzmaskenpflicht.
Beispiel Kontrollen. Frische Luft schnappen ist unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes erlaubt. Trotzdem machen Polizisten und Förster Jagd auf Spaziergänger, obwohl sich diese an die Regeln halten.
Beispiel Daten. Wie viele Corona-Infektionen gibt es im Land? Wie viele Geheilte? Wie viele Tote? Täglich veröffentlicht der Südtiroler Sanitätsbetrieb Zahlen, ebenso das Gesundheitsministerium. Nicht immer stimmen die Daten überein. Zählweisen, die sich im Laufe der Zeit ändern – das kann verwirren.
Beispiel Kinderbetreuung: Was passiert, wenn Eltern im Laufe der nächsten Wochen wieder arbeiten müssen, die Kinder aber weder Schule, Kindergarten, Kitas oder Tagesmütter besuchen dürfen? Dafür gibt es bis heute keine klaren Regeln.
All das ist beklagenswert, doch es ist noch kein Nachweis für die grundsätzliche Unfähigkeit von Politikern und Entscheidungsträgern.

Die Menschen erwarten schnelle Lösungen, klare Antworten, konkrete Hilfe und Zuversicht, gerade jetzt in der Corona-Krise. Eine Gebrauchsanleitung für den Umgang mit Corona aber, die gibt es leider nicht. Was heute noch gilt und sinnvoll ist, kann morgen längst überholt sein. Also tastet sich jeder irgendwie durch diese Krise – Ärzte, Pfleger, Verkäuferinnen, Polizisten, Sanitätsverantwortliche, Journalisten und eben auch die Regierenden. Wer in dieser Krise regiert und agiert, wird zwangsläufig Fehler machen. Anders geht es nicht.
Trotzdem wird der Kampf gegen das Virus nur erfolgreich sein, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Politikern und Bürgern intakt bleibt. Dazu müssen beide beitragen. Die Politiker müssen transparent machen, in welcher Lage sie was und warum entschieden haben. Die Bürger ihrerseits sollten einem Politiker auch Sätze zugestehen wie: „Ich weiß es nicht.“ – „Ich habe mich geirrt.“ – „Mir ist ein Missgeschick passiert.“ – „Ich kann es noch nicht sagen.“
Das Virus lehrt uns eines: Demut. Wir sollten uns das vergegenwärtigen, wenn wir Politiker an ihren Entscheidungen messen.

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