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Leitartikel
Corona und die Bäume
Aus ff 26 vom Donnerstag, den 25. Juni 2020
Die Coronakrise zeigt unsere Verbundenheit mit der natürlichen Welt. Es wäre jetzt an der Zeit, unser Naturverständnis radikal zu verändern. Um eine andere Krise bewältigen zu können – die ökologische.
Bäume sind langsam. Sie haben keine Eile. In ihrer Gesellschaft verliert man die eigene Hast. Der Wald tut dem Menschen gut. Das haben viele in den vergangenen drei Monaten einmal mehr erkannt. Die Zwangsentschleunigung der Coronapandemie hat vor Augen geführt, dass es nicht immer die weite Welt sein muss. Viele haben erkannt, welchen Wert Natur und Ruhe für unser Wohlbefinden haben.
Die Natur der Heimat erfährt eine Renaissance.
Aber wie viel Schutz gesteht man der Natur zu, wenn wirtschaftliche Interessen ins Spiel kommen? Wie ernst gemeint sind die von Politik und Wirtschaft viel und oft lancierten Nachhaltigkeitskonzepte für alpine Destinationen?
Die Natur trägt einen großen Teil zur Wertschöpfung unseres Landes bei. Es mag offensichtlich erscheinen, wenn Südtirol – vor dem Hintergrund der Coronakrise – künftig noch stärker als zuvor mit seiner intakten Natur werben will. Wasser, Wald, eine unberührte Landschaft, kurzum, ein gesunder Lebensraum, all das soll Lust auf Urlaub in Südtirol machen.
Die neue Wertschätzung vieler Menschen von Natur und Landschaft ist eine Chance für den Tourismus, ja. Aber nur, wenn es kein Greenwa-shing ist – also nicht mehr Schein als Sein beim Thema Klima- und Naturschutz. Wenn es hinter den Kulissen nicht doch wieder nur um das Motto „höher, weiter, schneller“ geht.
Ein falsches oder gestörtes Mensch-Natur-Verhältnis beschleunigt viele unserer Probleme, andere verursacht es sogar. Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt, die Verbreitung viraler Pandemien – Ausdruck dafür, dass im Umgang mit der Natur etwas schiefläuft. Eine Antwort auf die Grundsatzfrage, wie man das in Zukunft mit dem Schutz der Natur hinkriegen will, muss die Politik geben. Bisher ist das nicht geschehen.
Der Tourismuslandesrat denkt seit rund zwei Jahren darüber nach, wo es diesbezüglich langgehen soll. Bislang schöne Prosa, einige Absichtserklärungen, fast nichts Konkretes.
Das neue Raumordnungsgesetz tritt am 1. Juli in Kraft, es verspricht den Schutz und die Aufwertung der Landschaft. Vieles darin ist das Papier nicht wert, auf dem diese Ziele geschrieben stehen. Chance verpasst, ein weiteres Mal.
Die IDM will Südtirol zum begehrtesten nachhaltigen Lebensraum Europas machen. Bislang ist noch nichts wirklich Konkretes dazu bekannt, wie sie dieses Versprechen einlösen will.
Der Hoteliers- und Gastwirteverband HGV treibt die Politik vor sich her, der Restart geht ihm nicht schnell genug. Die über 225.000 Betten im Land sollen presto wieder gefüllt werden, aber presto!
Und dann sind da noch die vielen Einheimischen, die nach dem Lockdown einen Nachholbedarf an Ausflügen haben, der der Natur erst recht zu schaffen macht. Selbst weitgehend unbekannte Waldsteige, wo früher vielleicht einmal am Tag jemand vorbeigekommen ist, werden mittlerweile intensiv von Erholung-suchenden genutzt. Natur und Tierwelt werden vermehrt in die Zange genommen. Man wünschte sich da manchmal etwas mehr Gespür und Rücksichtnahme.
Der Wert der Natur lässt sich nur schwer in Euro beziffern. Sie ist unbezahlbar. Und wir Menschen sind ein Teil dieser Natur und auf sie angewiesen. Das zeigt die Coronakrise einmal mehr. Wir sollten endlich begreifen, dass unsere Landschaft nicht allein für Touristen, Vermarktungszwecke, Bauspekulationen oder das persönliche Sich-Austoben da ist. Stattdessen müssen wir alle gemeinsam wieder lernen, natürliche Ressourcen wertzuschätzen, sie besser zu schützen und sie intelligent zu nutzen.
Wir alle profitieren von der Natur, unserer Landschaft, dem Wald, körperlich wie seelisch. Es wird Zeit, dass wir ihnen etwas zurückgeben.
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