Das Büro der Zukunft soll in den eigenen vier Wänden liegen. Viele Chefs und ihre Angestellten sind begeistert vom neuen Arbeitsmodell. Aber hält es auch, was es verspricht?
Leitartikel
Das Virus ist unter uns
Aus ff 30 vom Donnerstag, den 23. Juli 2020
Wir überschreiten häufiger Abstandsregeln, treffen uns wieder in Gruppen. Die Sorglosigkeit kehrt zurück. Das Problem: Die Pandemie ist nicht vorbei. Auch nicht hier in Südtirol.
Ja, es ist ein Genuss, wieder in eine Bar auf einen Kaffee zu gehen, einen Ausflug in die Berge zu machen oder sich wieder in einer größeren Gruppe zu treffen. Freiheit ist eben doch nichts Selbstverständliches. Das haben wir nach all den Einschränkungen während des Corona-Notstandes begriffen. Jetzt atmen wir auf. Der Sommer trägt dazu bei, düstere Themen zu verdrängen.
Menschen fahren nun in den Urlaub, treffen sich in Massen zum Feiern auf den Straßen oder in Lokalen. Immer mehr ignorieren dabei die Regeln. War da was mit Abstandhalten? Oder mit Mundschutz? Gefühlt ist das alles vorbei. Die Pandemie, so scheint es jedenfalls, ist vielerorts vergessen. Die Disziplin der vergangenen Monate – verflogen.
Ziemlich bizarr beispielsweise mutet der Fall an, der sich jüngst im Gadertal zugetragen hat. Ein 24-Jähriger wurde positiv auf das Coronavirus getestet und daraufhin unter Quarantäne gestellt. Ebenso seine Eltern, die im selben Haus leben. Der junge Mann jedoch ging weiterhin zur Arbeit, war in mehreren Lokalen unterwegs und feierte gemeinsam mit Freunden. Und jetzt kommt’s: Bei diesem Mann handelt es sich um niemand anderen als den – mittlerweile zurückgetretenen – Direktor des örtlichen Tourismusvereins.
Alles kein schlechter Scherz, sondern Alltag und traurige Wahrheit. Da fragt man sich: Was treibt einen Menschen bloß dazu, sich so zu verhalten? Oder allgemeiner gesprochen: Ist die Pandemie in den Köpfen der Menschen bereits beendet?
Es ist erst wenige Wochen her, da war Europa der weltweite Hotspot der Coronapandemie. Da holten Militärlaster in Bergamo die Särge der Toten ab. Da gingen Bilder durch die Medien, die erschöpfte Mediziner und Pflegekräfte zeigten, das Gesicht blutig von den Atemmasken; Patienten, die an Beatmungsmaschinen hingen. Und es gab diese Momente, da alles eins zu sein schien. Alle gegen das Virus. Zusammen.
Ja, die Eingriffe in die Freiheitsrechte waren drastisch, um dieses Virus einzudämmen. Aber die Maßnahmen zeigten auch Wirkung. Die Situation in Europa – auch in Südtirol – hat sich entspannt, zum Glück. Schlimme Corona-Nachrichten erreichen uns allenfalls aus den USA, Indien oder Südamerika. Die Zahlen der Neuinfektionen in Indien beispielsweise steigen und steigen wieder, seit die rigiden Maßnahmen gelockert wurden, um die Wirtschaft anzukurbeln. Aber irgendwie berührt uns das kaum noch. Das hat doch alles nichts mit uns hier zu tun, so denken jetzt viele.
Die wachsende Unbekümmertheit ist gut nachvollziehbar. Der Lockdown hat zwar lange gedauert, aber nicht lange genug, als dass die neuen Benimmregeln widerstandslos in Fleisch und Blut übergegangen wären.
Das Problem: Die Pandemie ist nicht vorbei. Auch nicht hier in Südtirol. Der Fall im Gadertal führt uns das einmal mehr vor Augen. Im Gegensatz zum Menschen braucht das Virus keine Pause, es ist weder stuff noch genervt von sich selbst. Es nutzt jede Nachlässigkeit, um zurückzukommen.
Es hängt deshalb von unser aller Verhalten ab, wie viele Menschen hier im Land in den kommenden Wochen und Monaten an Covid-19 erkranken und auch sterben werden. Leider verschwinden immer mehr auch die schönen und guten Bilder der vergangenen Monate. Jene der gegenseitigen Hilfe, der Solidarität. Jene Bilder, die zeigten: Wir stehen das zusammen durch.
Dieser Zusammenhalt beginnt zu bröckeln. Viele wollen einfach dort weitermachen, wo sie bis vor Beginn der Krise aufgehört hatten.
Was wir jetzt tun können, ist: Uns richtig verhalten. Hände waschen, Mundschutz tragen, andere Menschen lieber draußen und in kleinen Gruppen treffen. Dazu braucht es Durchhaltevermögen und Geduld. Vor allem aber ein kollektives verantwortungsvolles Verhalten. Nicht aber Menschen, die die Existenz dieses Virus und dessen Ansteckungsgefahr verleugnen und sich und ihre Mitmenschen unnötigen Risiken aussetzen.
Alle gegen das Virus: Diese Einstellung entscheidet mit darüber, ob es bei uns eine zweite Welle gibt und einen erneuten Lockdown.
Wir stecken alle gemeinsam in diesem Schlamassel drinnen.
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