Leitartikel

Zum eigenen Schutz

Aus ff 32 vom Donnerstag, den 06. August 2020

Zitat
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Die Landespolitik möchte in Sachen Nachhaltigkeit die Nummer 1 in Europa werden. Das funktioniert nicht, solange sie nicht ernsthafter beim Ursprünglichsten ansetzt: dem Bewahren der Natur.

Der Blick in das Mahlwerk der Südtiroler Gesetzgebung mag für Außenstehende nicht besonders aufregend sein. Aufschlussreich ist er allemal. Er zeigt, wie Gesetze zustande kommen und welche Interessen bei der Ausarbeitung im Hintergrund wirken. Vor allem aber zeigt er auf, welche Entwürfe keine Chance haben – nämlich jene, die von der falschen Partei kommen.

Das Mahlwerk der Legislative im Landesparlament, dem Landtag, sind die Gesetzgebungsausschüsse. So hat der II. Gesetzgebungsausschuss – er ist unter anderem für Landwirtschaft und Umweltschutz zuständig – im vergangenen Monat einen Gesetzentwurf der Grünen zur Änderung des Naturschutzgesetzes diskutiert.

Die Grünen wollten den Schutz der Natura-2000-Gebiete vor Überdüngung auch auf jene artenreichen Lebensräume übertragen, die außerhalb dieser Schutzgebiete liegen. Eine knifflige Angelegenheit, aber nicht unmöglich.

Am Ende wurde das Ganze kraft der SVP-Mehrheit abgelehnt – man sah hier keine Notwendigkeit gegeben. So sagte der Vorsitzende Franz Locher: „In Südtirol haben wir noch eine intakte Natur, und die Biodiversität ist gegeben, die Bauern schauen eben auf ihre Wiesen.“

Man mag über die Aussage des Bauernvertreters der SVP schmunzeln. Tatsächlich schauen Südtirols (Obst-)Bauern vor allem darauf, dass die Erträge auf ihren Wiesen stimmen. Das ist legitim, ja die Grundlage bäuerlicher Existenz. Doch noch immer passiert es viel zu oft, dass bei der Optimierung der Erträge etwas unter die Räder kommt – eine Wirtschaftsweise, die mit der Natur im Einklang steht. Sie wäre das Gebot der Stunde.

Die Artenvielfalt steht weltweit unter Druck. Laut Weltbiodiverstitätsbericht – 2019 erstmals erschienen – dürften rund eine Million Pflanzen- und Tierarten in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht sein. Südtirols „Rote Listen“, die den Verlust der Artenvielfalt in der lokalen Tier- und Pflanzenwelt dokumentieren, stammen aus den Jahren 1994 und 2006; 41 Prozent der Tierarten und 27 Prozent der wildlebenden Pflanzenarten galten bereits damals als gefährdet.

Exzessive Landnutzung, überdüngte Wiesen, Monokulturen, Pestizide – kurz: unsere Turbolandwirtschaft hat einen bedeutenden Anteil am Verlust der Artenvielfalt, der Biodiversität.

Das Insektensterben ist kein Zufall. Die Gewässer zählen zweifelsohne zu den am stärksten bedrohten Lebensräumen, gerade auch in Südtirol. Solange unterschrittene Restwassermengen in den von der Stromwirtschaft beherrschten Bachläufen als Kavaliersdelikt gelten, ist es auch mit der Verbesserung der Gewässerökologie nicht weit her. Detail am Rande: Der Gewässerschutzplan lässt seit 17 Jahren auf sich warten! Der Flächenfraß – durch immer neue touristische Projekte mit angefeuert – tut ein Übriges.

Die Vereinten Nationen haben die Dekade 2021–2030 zum Jahrzehnt der Renaturierung des Ökosystems proklamiert, von einer Umsetzung ist man hierzulande weit entfernt. Im vergangenem Monat hat die Europäische Kommission die Biodiversitätsstrategie 2030 vorgestellt, die inhaltlich ein klares Bekenntnis für die Ausweitung von Schutzgebieten ist, auch für einen wirksameren Schutz von artenreichen Lebensräumen.

Wenn Südtirol die nachhaltigste Region in Europa werden will, wie das der Landesvermarkter IDM so schön formuliert, dann muss sich die Landesregierung sputen und mit wirksameren Maßnahmen dort aufwarten, wo alles seinen Ausgang hat – in der Natur. Warum Förderungen nicht vermehrt mit Umweltauswirkungen abgleichen? Geht es nach den Worten der Landesregierung, soll Südtirol auch zum „Vorzeige-Klimaland“ werden – wunderbar, nur hinkt man den Zielen des eigenen (und veralteten) Klimaplans hinterher.

Der Weitblick sei den Regierenden an dieser Stelle nicht genommen – das Umdenken muss sich aber in Taten zeigen: im Bestreben nach einem ökologischen Gleichgewicht.

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