Leitartikel

Das muss uns wachrütteln

Aus ff 33 vom Donnerstag, den 13. August 2020

Zitat
© FF Media
 

Im Corona-Sommer drängen Massen von Touristen und Einheimischen in die Berge. Das ist eine extreme Belastung für die Umwelt. Jetzt ist ganz klar die Politik gefordert.

Overtourism – was für ein schlimmes Wort. Der deutsche Begriff ist auch nicht recht viel besser: Übertourismus. In den vergangenen Jahren war das das große Thema. Touristenmassen, die ganze Orte überschwemmen. Eine Reisebranche, die weltweit boomt. Es war einfach zu viel. Und die Nachteile von all dem begannen zu überwiegen.

Welche Möglichkeiten gibt es, diesem Phänomen zu Leibe zu rücken? Eine Frage, mit der sich schon seit einer Weile viele Menschen beschäftigen, aber keine klare Antwort darauf gefunden haben.

Und dann kam Corona. Plötzlich waren die Touristen weg, monatelang. Und die Diskussion über den Übertourismus wirkte fast wie eine Debatte aus glücklichen Zeiten.

Jetzt kommen sie wieder, die Touristen. Naturnaher Urlaub steht hoch im Kurs, noch mehr als sonst. Im Corona-Sommer drängen Massen von Touristen – aber auch von Einheimischen – in die Berge. Gedränge an den Parkplätzen, Gedränge auf den Hütten und Gedränge auch auf vielen Gipfeln. Um die Abstandsregeln oder das Tragen von Mund-Nasen-Schutz kümmert man sich wenig.

Welche Strategien gibt es, um die Besucherströme besser zu lenken? Was lässt man sich einfallen, wenn man nicht will, dass der Satz des deutschen Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger irgendwann zutrifft: „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.“

Alpenverein, Heimatpflegeverband und Dachverband für Natur- und Umweltschutz haben vergangene Woche zu Recht gefordert, dass die Inszenierung und Eventisierung der alpinen Landschaft aufhören solle. Solange jeder Ort, jede Liftgesellschaft ihren Themenweg, ihre Aussichtsplattformen oder Spaß-Klettersteige hat, wird ein unverfälschtes Erlebnis am Berg immer seltener werden, weil eben Massen von Menschen zu diesen hinströmen.

Jetzt ist die Politik gefordert. Sie muss klare Regeln aufstellen, sie muss die vielen Wanderer und Gäste in der Höhe klug und praktisch zu lenken und zu verteilen wissen. Besucherbegrenzungen und Anmeldesysteme für Sehenswürdigkeiten, Besucherlenkungen sind ein wichtiger und längst überfälliger Ansatz zur Lösung des Problems. Doch reichen tut das längst nicht mehr. Es muss tiefgründiger über die Zukunft des Tourismus nachgedacht werden. Die Gedanken über die Qualität dessen, was man jetzt (wieder) aufbauen will, müssen im Vordergrund stehen.

Die aktuelle Forderung „Weg mit den inszenierten Bergen“ sollte man deshalb ernst nehmen. Wandern und Bergsteigen soll kein Weg hin zu den Massen sein, sondern ein Weg in die Freiheit.

Nicht falsch verstehen: Die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus ist immens. Und gerade jetzt kann die gebeutelte Branche nicht auf die Einnahmen verzichten. Das Dilemma sollte aber nicht wieder von Neuem beginnen. Die Politik sollte selbstbewusst auftreten, um den Interessen der Natur und der Umwelt – und damit letztlich von uns Menschen Geltung zu verschaffen. Sie sollte selbstbewusst ihre Zielrichtung formulieren und diese dann auch klar verdeutlichen.

Die aktuelle Krise sollte uns endlich wachrütteln. Wachrütteln, um umzudenken, um auf weniger statt mehr zu setzen. Und um endlich ein besseres Verhältnis zur Natur aufzubauen.

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