Leitartikel

Die Qual der Moral

Aus ff 34 vom Donnerstag, den 20. August 2020

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In normalen Zeiten könnte man das Verhalten der vier Landtagsabgeordneten in Sachen 600-Euro-Bonus als lässliche Sünde betrachten. Aber wir leben nicht in normalen Zeiten.

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ährend viele Bürger im Lockdown nicht wussten, wie sie ihre Miete weiterhin bezahlen oder ihre Familien ernähren sollten, beantragten vier Landtagsabgeordnete den Bonus, den die Regierung für Härtefälle bereitgestellt hatte: 600 Euro. Das war zwar legal – der Bonus war nicht an ein Einkommenslimit gekoppelt. Aber moralisch war diese Aktion schlicht und ergreifend falsch.

Was die Sache nicht besser macht: Die vier sind landespolitische Größen wie der SVP-Landeshauptmannstellvertreter Arnold Schuler, der SVP-Fraktionssprecher Gerd Lanz, der SVP-Abgeordnete Helmut Tauber sowie der Parteichef des Team K, Paul Köllensperger.

Der Respekt vor dem Amt des Politikers ist durch ihr Verhalten geringer geworden. Es durfte einfach nicht sein, dass nach dem Politrenten-Skandal vor sechs Jahren nun erneut gewählte Volksvertreter öffentliche Gelder zur persönlichen Bereicherung nutzen. Aber es ist wieder passiert, mitten in der akuten Phase der Pandemie.

In normalen Zeiten könnte man so ein Verhalten als lässliche Sünde betrachten. Aber wir leben nicht in normalen Zeiten. Das Virus verursacht die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist eine Krise, die eine nie da gewesene Unsicherheit in weiten Teilen der Gesellschaft mit sich bringt. Und das Land vor ungeahnte Herausforderungen stellt. In so einer Zeit wird aus einer lässlichen Sünde ein schweres Vergehen.

Warum haben die vier das gemacht? Die Antwort auf diese drängende Frage kann nur sein: aus moralischer Blindheit. Aus Gedankenlosigkeit, oder anders und härter ausgedrückt: aus Dummheit. Alles sind Eigenschaften, die einem Politiker nicht gut zu Gesicht stehen – und sind Gründe genug für einen Rücktritt.

In einer Zeit der Krise braucht es glaubwürdige Politik von glaubwürdigen Menschen. Nur so kann die Pandemie erfolgreich bekämpft werden. Die regierenden Politiker wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger weiterhin alle Maßnahmen befolgen, die das Virus eindämmen sollen. Das tun diese aber nur, wenn sie diesen Politikern vertrauen und auch glauben können.

Die Frage, was einen guten und glaubwürdigen Politiker auszeichnet, hat der deutsche Ökonom Max Weber schon vor hundert Jahren zu beantworten versucht – mitten im Revolutionswinter 1918/19. Er benennt in seinem Essay „Politik als Beruf“ jene Eigenschaften, die auch als Maßstab für heutige Politiker dienen sollten: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl, Augenmaß.

Seine Aufgabe verlangt vom Politiker Verantwortung für das Gemeinwohl. Gute Politiker kümmern sich um das Gemeinwohl, sie sind nicht Sprachrohr für ihre Interessen oder von bestimmten Lobbys. Und: Ein guter Politiker muss fähig sein, sich selbst und seine Rolle infrage zu stellen.

Wenn also Glaubwürdigkeit das wichtigste Kapital in der Politik ist, weil nur darauf das Vertrauen der Wähler gründen kann, dann werden Charakterköpfe gebraucht, die über solche Eigenschaften verfügen.

Die vier Landespolitiker lassen all das vermissen. Rücktritte müssen schon allein deshalb erfolgen, um Schaden von der Politik abzuwenden. Auf Politiker wie Arnold Schuler und Paul Köllensperger trifft das noch mehr zu. Beide waren in den vergangenen Jahren Gegenstand vieler politischer Sehnsüchte und Projektionen. Der eine als parteiinterner Edelweiß-Rebell, der andere als Anti-SVP-Politiker und Kümmerer für die kleinen Leute.

Ihren Bonus als Idealpolitiker haben sie jetzt aufgebraucht. Es wäre Zeit, dass sie sich selbst in die politische Quarantäne schicken. Talentierte Politiker werden in einer offenen Gesellschaft nach einer gewissen Zeit dann auch wieder eine zweite Chance bekommen.

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