LITERATUR – ROBERT SEETHALER: (gm) Robert Seethaler (54) ist ein Schriftsteller, der stets das Kleine sucht und dabei oft das Plakative findet. Er ...
Leitartikel
Ein Virus und eine Wahl
Aus ff 37 vom Donnerstag, den 10. September 2020
Zum ersten Mal in der Landesgeschichte steht ein Urnengang unter dem Vorzeichen einer Pandemie. Die Gemeindewahlen sind ein erster Test dafür, wie lebensfähig Demokratie ist.
Südtirol wählt in zehn Tagen – es wird eine Wahl sein, wie wir noch keine erlebt haben: Sie findet mitten in einer Pandemie statt. Es ist lange darüber diskutiert worden, ob die Wahl überhaupt stattfinden soll. Einmal schon wurde sie verschoben, aus verständlichen Gründen. Doch jetzt ist es wirklich an der Zeit, dass die Südtirolerinnen und Südtiroler zu den Urnen gehen und in 113 Gemeinden Bürgermeister und Gemeinderäte wählen. Warum? Weil es ohne Wahlen keine Demokratie gibt, und weil sie heute so viele und so mächtige Feinde hat wie selten zuvor.
Das Virus ist längst zu einem politischen Faktor in einer globalen Auseinandersetzung geworden. Es ist kein Zufall, dass Chinas Kommunisten für sich beanspruchen, die Ausbreitung des Virus am effizientesten bekämpft zu haben. Sie wollen damit beweisen, dass ihr System – die Diktatur – der Demokratie überlegen ist.
Wer nun denken mag, dass das doch alles weit weg von Südtirol sei, China und all das, der möge sich nur an hiesigen „Stammtischen“ umhören. Da ist viel die Rede davon, dass „die Chinesen“ oder „der Putin“ es doch besser könnten. Sie entscheiden, und die Entscheidung wird umgesetzt, keine ermüdenden Diskussionen, keine aufreibende Debatte. Zack! Diktatoren könnten eben jeden gordischen Knoten einfach durchschneiden.
Es ist ein verführerischer Gedanke, der auch in unserem Land verfängt.
Die Südtirolerinnen und Südtiroler sollten sich bewusst sein, dass wir in einer Zeit der Systemkonkurrenz leben. Wer in zehn Tagen in Meran, Klausen, Pfalzen oder in all den anderen Gemeinden an die Urne tritt, der gibt vor diesem Hintergrund auch ein Bekenntnis ab: Ja, ich glaube an dieses demokratische System. Es wäre ein starkes Zeichen, gerade jetzt, da es so schwierig ist, Wahlen durchzuführen, wie wohl nie zuvor.
Einen Wahlkampf, wie wir ihn kennen, hat es bislang nicht gegeben. Große Wahlveranstaltungen sind rar, stattdessen eher kleinere Gruppen und verstärkte Onlinepräsenz. Kandidaten und Parteien greifen sich nur sehr halbherzig an. Die Unterschiede zwischen ihnen sind kaum auszumachen. Die Bürgerinnen und Bürger sind angesichts der Pandemie mit all ihren unübersichtlichen Regeln abgelenkt, mitunter verwirrt.
Bei der jüngsten Gemeinderatswahl vor fünf Jahren lag die Wahlbeteiligung bei 66,9 Prozent, fast genau ein Drittel der Wahlberechtigten blieb der Wahl fern. Im Vergleich zu den Wahlen von 2010 gab es einen Rückgang von 7,7 Prozent. Klar, es sind Gemeinderatswahlen. Es geht um Gehsteige, Parkplätze, Wohnsiedlungen, um Spielplätze, Dorfgestaltung und Kindertagesstätten. Das mag vielen als langweilig und unerheblich erscheinen. Mit seinem Kreuz auf dem Wahlzettel entscheidet jeder nicht zuletzt über die Grundstimmung eines Wohnortes: Ist die Gemeinde aufgeschlossen gegenüber anderen Kulturen und anderen Denkweisen? Wird Integration gefördert? Welcher Stellenwert wird Kindern und Jugendlichen gegeben? Wie fördert man das Vereinsleben?
Manche werden vielleicht gar nicht wählen wollen, weil sie glauben, ihre Stimme habe kein Gewicht. Geschenkt. Es wäre jedoch uns allen zu wünschen, dass die Südtirolerinnen und Südtiroler diese Wahl als das sehen, was sie in Zeiten der Pandemie ist: ein erster Test dafür, wie lebensfähig die Demokratie ist.
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