Die alten Rollenbilder in der SVP“ – Interview mit SVP-Frauenchefin Renate Gebhard
Leitartikel
Das große Ganze
Aus ff 46 vom Donnerstag, den 12. November 2020
Von Solidarität wird dieser Tage wieder viel gesprochen, von Zusammenhalt. Aber das Mitgefühl endet bei vielen Menschen dann, wenn sie dafür selbst zurückstecken müssen.
Die Südtiroler geben sich gerne patriotisch. Sie behaupten von ihrem Land, dass es das schönste überhaupt ist. Außerdem: Vieles werde hier besser gemacht als anderswo. In den vergangenen Monaten sprach die Landesregierung vom „Südtirol-Weg“, mit ihm sei man besser durch Coronakrise gekommen als andere.
Und jetzt?
Die Infektionszahlen steigen rasant an, und erneut werden harte Maßnahmen getroffen. Und schon ist es vorbei mit der Solidarität, die während der ersten Welle noch spürbar war. Jetzt stehen die Zeichen auf Polarisierung: Wirtschaft gegen Gesundheit, Krisengewinner gegen -verlierer, Autoritätshörige gegen Freiheitsliebhaber. So verständlich die Debatten auch sein mögen, so sehr sie zur Demokratie auch gehören, so sehr lähmen sie uns. Auch weil es sich weniger um Debatten handelt, sondern um fruchtlosen Streit. Genau das brauchen wir jetzt nicht.
Die Lage ist dramatisch. Intensivmediziner schlagen Alarm. Sollten die Infektionszahlen nicht schnell sinken, befürchten sie den Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Warte man noch länger ab, dann drohe Südtirol ein zweites Bergamo zu werden.
Solidarität also wäre nötig, Zusammenhalt. Doch in dieser zweiten Welle macht sich Egoismus breit. Am deutlichsten spürbar ist das bei den Vertretern von Wirtschaft und Tourismus. Sie behaupten, im Interesse aller zu sprechen – und reden doch nur von den eigenen. Jeder spricht nur für seine Kategorie, jeder bedient nur seine eigene Klientel. Ein Beispiel dafür ist HGV-Präsident Manfred Pinzger. Immer wieder geht er an die Öffentlichkeit und beklagt, dass die Hotels schließen müssten. Vom Tourismus, behauptet, er, gingen ja kaum Infektionen aus. Beweise dafür hat er nicht. Aber das hindert ihn nicht daran, lautstark Ausfallzahlungen zu verlangen. Der Handel – ist doch kein Hotspot!, betont Hds-Chef Philipp Moser und fordert ebenso Ausfallzahlungen. Infektionen im Baugewerbe? Konnten keine nachgewiesen werden, sagt LVH-Präsident Martin Haller. Also bitte ja nicht die Wirtschaftskreisläufe herunterfahren! – Schulen in Präsenzunterricht! So die Forderung der Eltern. Aber durchgehende Maskenpflicht in den Klassen? Nein danke!, schimpfen viele Eltern – und rufen zum Streik auf.
Jeder vertritt seine eigenen, eng gefassten Interessen. Das große Ganze spielt keine Rolle. Doch darum geht es. Es geht um das Wohl aller. Unser Land befindet sich in Gefahr. Diese zweite Welle lässt sich nicht mit Protesten und Panik abwehren. Alle müssen an einem Strang ziehen. Es braucht eine gemeinsame Anstrengung.
Gewiss, in einer erschöpften Gesellschaft ist es schwer, noch einmal die Bereitschaft zu wecken, sich einzuschränken. Wie schwer, zeigt ein Blick in die Covid-Abteilungen der Krankenhäuser. In der ersten Welle gab es noch viele Pfleger und Mediziner, die sich freiwillig gemeldet haben, jetzt finden sich fast keine mehr. Sie müssen großteils zwangsverpflichtet werden. Doch sie sind nicht nur müde, sie sind enttäuscht und demotiviert.
Im Frühjahr applaudierte man ihnen noch jeden Abend von den Balkonen. Das hat viele hoffen lassen. Sie glaubten an bessere Arbeitsbedingungen, bessere Löhne und mehr Wertschätzung. Doch für sie ändert sich so gut wie nichts. Nach dem Applaus kam der Stillstand. Politik und Gesundheitsbehörden waren nicht in der Lage, sich ausreichend auf eine zweite Welle vorzubereiten. Sie mussten wissen, dass sie kommen würde. Es fehlte nicht an Warnungen.
Nun gilt es, das Beste daraus zu machen. Und das Beste wäre, wenn sich auch die Schimpfer und Kritiker solidarisch zeigen würden. Sie dürfen maulen und schimpfen, doch müssen sie dann auch anpacken.
Das Virus ist gefährlich. Noch gefährlicher aber ist die Entsolidarisierung.
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