Leitartikel

Härtetest für die Demokratie

Aus ff 03 vom Donnerstag, den 21. Januar 2021

Leitartikel Alexandra Aschbacher
© FF Media
 

Die Arbeiter und Arbeiterinnen haben niemanden, der sie wirklich vertritt. Nie war es so nötig wie in Zeiten dieser tiefen Krise, soziale Gerechtigkeit einzufordern.

Vor einem Jahr starb Otto Saurer. Er war einer der letzten wahren Sozialdemokraten Südtirols. Saurer war stets auf der Suche nach Gerechtigkeit. „Der Sinn der Geschichte“, sagte er, „liegt darin, der größten Anzahl von Menschen die größte Anzahl von Lebensmöglichkeiten zu geben“.

Ein Politiker wie Saurer fehlt schmerzlich. Denn in Zeiten der Pandemie wird niemand so hart getroffen wie Arbeiter und Arbeiterinnen. Allein im Dezember sind 16.000 Arbeitsplätze weggefallen. 10.000 Menschen stehen derzeit ohne Gehalt und Arbeitslosengeld da. Hauptbetroffene sind Saisonangestellte.

Man täusche sich nicht: Diese Härten sind keine notwendige Folge der Pandemie. Sie sind die Folge von Politik. Hoteliers, Händler, Handwerker, Unternehmer verfügen über Organisationen, die die Politik permanent unter Druck setzen und öffentlich laut Forderungen platzieren. Die Arbeiter und Arbeiterinnen haben niemanden, der sie wirklich vertritt. Es ist seit Langem schon sehr still geworden um sie. Betriebe werden zwar mit staatlichen Hilfsgeldern gerettet – doch an jene, die dort arbeiten, denkt kaum einer. Es gibt eben keine Politiker wie Otto Saurer, die laut einfordern, was eigentlich selbstverständlich ist: soziale Gerechtigkeit. Nie ist sie so nötig wie in Zeiten der tiefen Krise.

Das Virus selbst macht keine Unterschiede, es trifft jeden, den es treffen kann. Aber am leichtesten trifft es die, die nicht gehört und verteidigt werden.

Wo zum Beispiel sind die Arbeitnehmer der Südtiroler Volkspartei? Wo das soziale Gewissen im Land? Wer spricht deutlich eine Wahrheit aus, die wir alle kennen: Ohne Saisonarbeiter stehen in Südtirols Tourismus, Gastronomie und auch Landwirtschaft alle Räder still!

Ohne sie läuft so gut wie nichts!

Es gibt vereinzelte Stimmen, die Gerechtigkeit anmahnen. Der ASGB-Chef Tony Tschenett etwa fordert sofortige Maßnahmen: „Damit Personen, die wegen der Krise ihren Job verloren haben, eine Umschulung bekommen, damit sie eine Chance auf eine Wiedereingliederung in die Arbeitswelt haben“. Die Abgeordnete des Team K, Maria Elisabeth Rieder, warnt davor, auf die staatlichen Hilfen zu warten. Das sei „zu unsicher“. Das Land müsse selbst handeln und den Arbeitern jetzt unter die Arme greifen.

Aber das ist es auch schon. Mehr ist da nicht. Wie laut dagegen das Gedröhne des HGV, wie erfolgreich im Vergleich dazu seine Lobbyarbeit!

Nein, die Arbeiter und Arbeiterinnen brauchen eine wirksame Stimme – nicht nur in ihrem eigenen Interesse. Die Pandemie nämlich stellt den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft auf die Probe, und sie ist ein Härtetest für die Demokratie.

Wenn es nicht gelingt, diesen Tausenden Menschen unter die Arme zu greifen und ihnen eine Perspektive zu bieten, dann könnten sie sich abwenden – voller Wut und Zorn auf „das System“. Wohin das führen kann, ließ sich nun mehr als vier Jahre lang in den USA beobachten.

Einen wie Otto Saurer bräuchte das Land – einen, der aufsteht und die Ungerechtigkeit benennt, uns allen ins Gewissen redet. Einen, der die Ärmel hochkrempelt, um denen zu helfen, die die Wirtschaft Tag für Tag am Laufen halten.

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.