Leitartikel

Im Verdrängen sind wir gut

Aus ff 09 vom Donnerstag, den 04. März 2021

Leitartikel 09/21
© FF Media
 

Seit einem Jahr zählen wir Corona-Tote. Sie haben meist weder Namen noch Gesicht. Es wäre jetzt endlich an der Zeit, aus der ­eigenen ­Sterblichkeit Konsequenzen zu ziehen.

Nahezu täglich sehen wir die neuen Todeszahlen über den Fernsehbildschirm flimmern. Werden im Radio und mittels Push-Nachrichten auf unseren Handys über die aktuellen Corona-Zahlen informiert. Im Hintergrund rattern die Zahlen und Daten pausenlos. Nach einem Jahr Pandemie sind wir in Südtirol bei 1.039 Verstorbenen angelangt (Stand Montag, 1. März). Aber seltsamerweise schockiert uns das nicht. Wir nehmen die Zahlen zur Kenntnis, besorgt, aber ohne Empörung. Der Aufschrei bleibt aus.

Natürlich wissen wir, dass hinter jeder Zahl ein Menschenleben steckt. Aber Zahlen sind abstrakt. Was aber bedeutet es, wenn es einen aus der eigenen Familie trifft? Wie fühlt es sich für die Angehörigen an, wenn sie hören, es sterben eh nur die Alten? All die Zahlen, Tabellen und Statistiken erzählen uns nicht, wie es ist, auf einer Intensivstation zu sterben, allein und an Schläuchen hängend. Oder im Altersheim, abgeschottet von der Außenwelt.

Der Punkt ist: Wir wollen das gar nicht so genau wissen. Wir halten uns das Leid auf Distanz.

Die Corona-Pandemie führt uns die Vergänglichkeit unseres Lebens in aller Härte vor Augen. Jeden Tag. Schwarz auf weiß. Und trotzdem scheuen wir uns, mit unseren Mitmenschen über das Sterben zu sprechen. Sterben und Trauern sind etwas sehr Einsames geworden.

Aber der Tod mit all seinem Schmerz sollte gefeiert werden. Er braucht seine Rituale. In diesem ersten Corona-Jahr, das hinter uns liegt, war jedoch alles anders. Friedhöfe und Kirchen waren noch leerer als sonst, die Totenandachten und Beerdigungen fielen sehr klein aus. Keine tröstende Umarmungen. Keine Nähe im Schmerz. Viele Frauen und Männer, die ihr Leben in einem Dorf lebten, es prägten und belebten, sind in diesem Jahr gestorben. Ganz still und leise. Es wäre schade, wenn diese Menschen einfach aus dem Dorfgedächtnis verschwänden.

Nein, an dieser Pandemie ist wahrlich nichts Gutes. Wenn man in dieser Zeit aber etwas lernen kann, dann ist es der Umgang mit dem Tod und das Verdrängen des Sterbens. Man könnte diese Phase zum Anlass nehmen, Freunde und Familienangehörige zu fragen, wie sie einmal sterben wollen. Und werden wir uns bewusst, dass der Tod so natürlich ist wie die Geburt.

Abschiednehmen ist wichtig. So begreifen wir, dass jemand tot ist. Das Zählen der Toten ersetzt keine Gefühle.

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