im Zuge der Pandemie sind einige Ereignisse medial weitestgehend unbeachtet geblieben. So zum Beispiel, dass Papst Franziskus das Jahr 2021 dem ...
Leitartikel
Mit offenem Visier
Aus ff 11 vom Donnerstag, den 18. März 2021
Wenn wir stärker aus der Pandemie hervorgehen wollen, als wir in sie hineingeraten sind, dann brauchen wir ein anderes Verhältnis zur Öffentlichkeit.
Auch wir sind müde – erschöpft von der Pandemie, zermürbt vom Lockdown, entmutigt vom scheinbar nie enden wollenden Ausnahmezustand. Ja, auch wir Journalistinnen und Journalisten wollen von all dem nichts mehr hören. Auch wir würden am liebsten wegschauen und uns zurückziehen ins Private, da und dort ein bisschen über dies und das maulen, aber ansonsten unsere Ruhe haben wollen. Aber das geht nicht.
Unser Beruf ist es zu beschreiben, zu analysieren und zu kommentieren. Dazu müssen wir hineinhorchen in die Gesellschaft, wir müssen und wollen wissen, was Menschen bedrückt, was sie umtreibt, was sie aufregt, welche Ideen, Vorschläge und Hoffnungen sie haben. Je länger die Pandemie dauert, desto mehr müssen wir den Blick auf unsere Gesellschaft öffnen. Dabei zu helfen, das ist eine Aufgabe des Journalismus.
Eine Zeitung wie die unsere ist deshalb auch eine Plattform für Südtirolerinnen und Südtiroler. Hier soll dargestellt werden, was sie beschäftigt. Und es gibt ja vieles zu diskutieren seit Ausbruch der Pandemie.
Diese Krise bündelt wie ein Brennglas all die Probleme, die uns seit Jahren begleiten, über die wir seit Jahren diskutieren: soziale Ungleichheit, schrankenloser Konsum, mangelnde Solidarität, orientierungslose Politik, Raubbau an der Natur, Verlust der Werte. Die Liste ließe sich fortsetzen. Wenn wir Leute befragen, wenn wir sie inter-viewen, dann erhebt sich häufig ein regelrechtes Klagelied. Manchmal sind unsere Interviewpartner dabei kaum einzubremsen. So viel haben sie zu sagen, so viel Schweres liegt auf ihrem Herzen, und so viel haben sie im Kopf. Wenn wir das dann aber niederschreiben wollen, wenn wir das protokollieren möchten, damit andere daran teilhaben können, dann hören wir oft: Nein, ich möchte meinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Anonym, gerne, aber mit Namen und vielleicht sogar mit Bild: Nein, auf keinen Fall!
Die Scheu vor der Öffentlichkeit ist verständlich. Nicht jedem liegt die Bühne. Manche treibt sogar die Sorge vor beruflichen Konsequenzen – ganz so, als lebten wir in einer Diktatur!
Die Wahrheit ist wohl eine andere: viele Südtiroler und Südtirolerinnen schießen gerne aus dem Hinterhalt, sie munkeln hinter vorgehaltener Hand, sie ballen die Faust im Sack, sie schimpfen gerne großmäulig und sind dann doch duckmäuserisch. Sie fordern Transparenz, Wahrheit und Vielfalt ein, laufen dabei aber selbst mit einer Tarnkappe herum.
Kritik, die anonym bleibt, bringt uns nicht weiter. Wenn wir die Pandemie überwinden wollen, wenn wir stärker aus ihre hervorgehen wollen, als wir in sie hineingeraten sind – und das müssen wir, denn die nächste Pandemie kommt bestimmt – , dann brauchen wir ein anderes Verhältnis zur Öffentlichkeit. Wir brauchen Personen, die die Courage haben, sich zu exponieren, herauszutreten aus dieser leider allzu oft schweigenden Mehrheit. Man möchte den Südtirolerinnern und Südtirolern deshalb zurufen: Rauf auf die Bühne mit Euch, öffnet das Visier und zeigt euer Gesicht, sprecht euren Namen aus, sagt, was euch nicht gefällt! Sprecht es aus!
Ja, das ist mühsam. Aber das wäre ein Beweis von Selbstbewusstsein, von Mut und Stärke.
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