Leitartikel

Wahre Stärke durch Schwäche

Aus ff 16 vom Donnerstag, den 22. April 2021

Leitartikel 16/21
Empathie, ­Nachsicht, Dankbarkeit – damit können die ­Regierenden nicht rechnen. Mit Gnadenlosigkeit schon. © FF Media
 

Man muss Politiker nicht mit Samthandschuhen anfassen. Was jedoch nottut, ist mehr Verständnis für die Arbeitsbedingungen im Politikbetrieb.

Der österreichische Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) trat vor einer Woche von seinem Amt zurück. Er sei „überarbeitet und ausgepowert“, sagt er. Und: Er wolle sich „nicht kaputt machen“.

14 Monate ohne Pause in der Pandemie, Attacken vom Koalitionspartner, die Wut von Gegnern der Corona-Politik – das war für den Politiker zu viel. Er hat die Reißleine gezogen.

So viel Ehrlichkeit in der Politik ist man gar nicht mehr gewohnt. Krankheit und Erschöpfung, das gilt in der Politik vielfach immer noch als ein Makel. Anschober trägt mit seiner Offenheit dazu bei, das zu ändern.

Politik ist eine harte, eine aufreibende Arbeit. Nur wenige reden über die Belastung und die gesundheitlichen Folgen dieses ihres Berufes. Das ist kein Wunder. Die Öffentlichkeit nämlich geht in der Regel hart ins Gericht mit den Politikern und Politkerinnen. Keine andere Berufsklasse dürfte so häufig und so heftige Shitstorms über sich ergehen lassen. Politiker und Politikerinnen werden verspottet, beschimpft und mitunter auch bedroht.

Der Beruf des Politikers geht mit einer Reihe von Privilegien einher, deshalb haben viele wohl das Gefühl, sich nicht beschweren zu dürfen. Ihre eigenen Arbeitsbedingungen zum Thema zu machen, das ist tabu. Schließlich sind andere Berufe auch hart, aber viel schlechter bezahlt. In jedem Beruf müsse es möglich sein, sich eine Pause zu gönnen, sagte Rudolf Anschober bei seinem Rücktritt. Nun, in seinem ist es das aber anscheinend nicht. Erschöpften Politikern erlaubt man keine Erholung – auch oder erst recht nicht in einer Pandemie. Empathie, Nachsicht, Dankbarkeit – damit können die Regierenden nicht rechnen. Mit Gnadenlosigkeit schon. Und je schwieriger die Zeiten, desto größer die Härte, mit der man ihnen begegnet.

Man muss Politiker nicht mit Samthandschuhen anfassen. Kritik üben, das ist für eine Demokratie fundamental. Was nottut, ist etwas mehr Verständnis für die Arbeitsbedingungen in der Politik.

Die Anforderungen an ein politisches Amt sind spezielle, der Konkurrenzdruck ist extrem groß, und es herrscht ein Umfeld, in dem man sich keine Fehler erlauben kann. Erschöpfung, Erkrankung und Emotion gelten als Schwäche. Wohl auch weil Politik immer noch ein sehr männlich geprägter Bereich ist.

Wenn nun ein Minister öffentlich sagt, er müsse sich eingestehen, dass sein Körper nicht mehr hundertprozentig fit sei, dann hat das Signalwirkung. Ein Politiker, ein Mann, der Unzulänglichkeiten eingesteht und sagt, dass es ihm nicht gut geht.

Was für ein wohltuender Unterschied zur gängigen Überheblichkeit und Arroganz im Politbetrieb. Er hat Schwäche gezeigt – und damit Stärke bewiesen.

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