Warum uns jetzt nur die Vernunft retten kann. Titelgeschichte in ff 16/21
Leitartikel
Alles hat seine Zeit
Aus ff 18 vom Donnerstag, den 06. Mai 2021
Die Südtiroler Volkspartei ist nicht mehr die große, prägende Kraft, die sie über ein halbes Jahrhundert lang war. Für die Demokratie in Südtirol muss das nicht schlecht sein.
Die SVP-Landesversammlung hat Tradition. Es ist der Ort, an dem sich die Partei inszeniert und sich selber feiert. 64-mal tat sie das schon. Doch in diesem Jahr ist es nicht möglich. Corona hat zum zweiten Mal die Feierstunde der SVP vermasselt. Die Partei lädt an diesem Samstag deswegen zu ihrem „ersten digitalen Parteitag“ ein – und weil sie von der bedeutungsschweren Symbolik nicht lassen kann, trifft sie sich auf Schloss Tirol.
Ein (erzwungener) neuer Treffpunkt, eine alte Symbolik. Das allein sagt schon viel aus über die SVP: Sie kann von ihren Gewohnheiten, von der Inszenierung ihrer Macht nicht lassen. So gab es wohl keine Landesversammlung in den vergangenen Jahren, die nicht mit Pomp und Trara als eine Art ewige Auferstehung der SVP zelebriert worden wäre.
Dramaturgisch ist das verständlich, aber sie packt die tiefer liegenden Probleme nicht an. Die Formel „Miar sein miar“ ist zur rhetorisch-folkloristischen Floskel verkommen. Zu viele Manager der Macht hat die SVP, zu wenige Vordenker. Sie ist nicht mehr die große, prägende Kraft, die sie über ein halbes Jahrhundert lang war. Sie hat kein rot-weiß-rotes-Monopol mehr.
Das Selbstverständnis der großen Partei ist immer noch von der Vergangenheit tief geprägt, und erst recht ein guter Teil ihres Personals. In der neuen Welt der Vielfalt und der Offenheit bleibt die SVP nach wie vor oft die alte. Sie steckt in einer Zeitenwende, ohne zu wissen, wie sie daraus erfolgreich herauskommen kann.
Diese große führende Partei wird also immer mehr zu einer Normalpartei. Für die Demokratie in Südtirol muss das nicht schlecht sein.
Man sollte der seit 76 Jahren herrschenden SVP ihre Verdienste nicht absprechen. Südtirol steht gut da. Das ist auch ein Verdienst der SVP. Lange ist es der Volkspartei gelungen, Südtirol in seinen Widersprüchlichkeiten abzubilden: Stadt und Land, Unternehmer und Arbeiter, Einheimische und Zugezogene. Heute ist es immer schwieriger, die Fliehkräfte zusammenzuhalten, so dass man sich oft fragt: Wofür steht die Volkspartei SVP eigentlich noch? Über diese Frage kommt die Partei ins Stottern.
Die gute alte Volkspartei hat ihr Schicksal selbst in der Hand. Wenn die Wählerin und der Wähler wieder verstehen, wofür sie tatsächlich eintritt, könnte sie wieder an Attraktivität gewinnen. Und wenn nicht?
Der Niedergang der großen Partei ist kein Drama, ja nicht einmal Anlass zur Sorge. Alles hat seine Zeit. Auch die SVP. Das Land ist ohnehin wichtiger als die Partei. Verschwindet die SVP von der Bildfläche, gehen weder die Welt noch Südtirol unter. Südtirol ist langlebiger als die Partei, das ist beides: eine schlichte Wahrheit und ein großes Glück.
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