Ausstellung – Linda Wolfsgruber
Leitartikel
Und was ist mit dem Klima?
Aus ff 21 vom Donnerstag, den 27. Mai 2021
Die Coronakrise hat deutlich gemacht, dass wir mit viel weniger Flugreisen auskommen können. Der Bozner Flughafen wird nun aber wieder eröffnet – das ist vorgestrig.
Soll man einem Flughafen möglichst wenig Passagiere wünschen? Im Falle des bald wieder eröffneten Bozner Flughafens muss man es sogar. Denn gegen seine Inbetriebnahme spricht fast alles: die CO2-Emissionen, der Wille der Anrainer, die Entwicklung der Flugzeugindustrie insgesamt.
Flugzeuge sind Klimakiller, das beweist Studie über Studie. Die Südtiroler haben sich in einem Referendum gegen den Ausbau des Flughafens ausgesprochen. Die Flugzeugindustrie kann nicht mehr so weitermachen wie bisher. Längst schon werden Kurzstreckenflüge infrage gestellt – nicht etwa von irgendwelchen Radikalen, die den Menschen kein Vergnügen gönnen, sondern von der EU-Kommission selbst. Distanzen von bis zu 600 oder 800 Kilometer sollten nicht mehr mit dem Flugzeug zurückgelegt werden, sagt etwa der Vizepräsident der Kommission Frans Timmermans.
Und was geschieht in Südtirol?
In Zukunft können Passagiere von dort aus unter anderem nach Parma fliegen. Entfernung: 200 Kilometer! Ein Radfahrer schafft das in einem Tag, mit 0 Emissionen. Gut, es sind auch etwas weiter entfernte Destinationen im Bozner Flugplan vorgesehen: Catania und Cagliari, Rom, Berlin und Düsseldorf. Besser macht das die Sache nicht.
Man fragt sich, wie das möglich ist, zumal der Widerstand dagegen aus der Bevölkerung und auch aus der Politik in den vergangenen Jahren immer so groß war? Nun, es sind mächtige Männer, die am Flughafen das Sagen haben: die Gebrüder Gostner mit ihrem Energiekonzern Fri-El-Green Power AG, René Benko mit seinem Immobilienkonzern Signa Holding GmbH und Peter Haselsteiner mit seinem Baukonzern Strabag.
Und: Als das Land im vergangenen Jahr die Flughafengesellschaft ABD verkaufte, hat sie es verabsäumt, den Rahmen, in dem sich die neuen Betreiber bewegen können, klarer und enger abzustecken. Deshalb können die Unternehmer schalten und walten, wie sie wollen. Und für sie bedeutet Freiheit Reisen, nach Parma zum Beispiel (siehe ff-Titelgeschichte und Interview mit Josef Gostner). Ganz nebenbei gesagt: Landeshauptmann Kompatscher kann sich sein Ziel, Südtirol klimaneutral zu machen, schon mal abschminken – angesichts dieses in Bozen in die Tat umgesetzten Freiheitsbegriffes
Corona hat die Klimakrise nur aus dem Bewusstsein vieler Menschen verdrängt, nicht aber aus der Wirklichkeit. Das Artensterben beispielsweise hat sogar an Fahrt zugelegt. Es ist schon seltsam, dass die Menschen das Verschwinden von Pflanzen und Tieren, die mit ihnen auf diesem Planeten leben, so wenig ernst nehmen. In der Natur hängt fast alles mit allem zusammen, wir leben nicht unabhängig voneinander auf der Erde.
Natürlich, Menschen wollen reisen, sie sollen es auch. Doch sind wir uns ehrlich: Wir kommen auch sehr weit, wenn wir am Boden bleiben. Es geht hier nicht darum, den Flugverkehr zu verbieten. Es geht um Kurzstreckenflüge. Müssen wir Distanzen von 200, 400 oder 600 Kilometer wirklich mit dem Flugzeug zurücklegen?
Müssen wir nicht. Vor allem dann nicht, wenn die Alternativen besser werden: die Bahn zum Beispiel.
Man muss dem Bozner Flughafen keinen besonders großen Erfolg wünschen. Die Unternehmer, die ihn in Betrieb nehmen, würden das sicher verkraften können. Das Klima hingegen, wenn es denn könnte, würde sich bei ihnen bedanken. Und der Landeshauptmann wohl auch.
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