Musik – Jazzfestival
Leitartikel
Es ist und bleibt ein Wahnsinn
Aus ff 26 vom Donnerstag, den 01. Juli 2021
Die Immobilienpreise steigen und steigen. Teures Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch die Politik geht sie nicht an. Das muss sich ändern.
Südtirol hat ein Problem, um das viele Menschen und Länder es weltweit beneiden. Das Land wächst und wird reich. Die Lebensqualität ist hoch, die Berge sind schön und die Arbeitsplätze vielfach attraktiv. Die unerfreuliche Nebenwirkung dieses Wachstums: immer weiter steigende Wohn- und Immobilienpreise.
Das ist ein großes, ungelöstes soziales Problem.
Für diese Entwicklung gibt es Gründe: knapper Baugrund, explodierende Preise für Bau-stoffe, hohe Nachfrage aus dem In- und Ausland. Man kann den Wahnsinn also durchaus erklären, aber ein Wahnsinn bleibt es doch, wenn 10.000 Euro pro Quadratmeter für eine Eigentumswohnung bezahlt werden müssen. Es geht ja nicht um ein Luxusgut, sondern um die Befriedung eines Grundbedürfnisses, nämlich ein Dach über dem Kopf zu haben. Es darf nicht sein, dass sich Menschen fast ein Leben lang tief verschulden müssen, um wohnen zu können. Wohnen muss leistbar sein.
Das ist freilich einfacher gesagt als getan. In allen europäischen Ländern ist Wohnen teuer geworden, zu teuer. In den vergangenen Jahren sind in vielen europäischen Hauptstädten Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um für das Recht auf leistbares Wohnen zu demonstrieren. Es gibt in vielen Städten – von Berlin über Wien bis Paris – Versuche, das Problem in den Griff zu bekommen. Trotzdem steigen die Preise weiter unerbittlich. Es gibt also keine einfachen Lösungen. Das ist klar.
Aber es muss auch klar sein, dass die explodierenden Immobilienpreise ein Problem der sozialen Gerechtigkeit sind. Somit sind sie ein politisches Problem mit erheblichem Sprengstoff. Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Gerade jetzt sollte das Thema Wohnen nicht weiter vernachlässigt werden: Durch die Coronakrise gehen die Einkommen vieler Menschen zurück. Sie müssen sich also noch einmal mehr anstrengen, um ihre Wohnkosten aufzubringen.
Hierzulande hat sich die Landesregierung aus der Wohnungspolitik zurückgezogen. Es wird zwar viel debattiert darüber im Landtag, viele Parteiprogramme schmücken sich mit dem Thema, die Opposition mahnt immer wieder an. Der politische Wille für konkrete Schritte aber fehlt. Es ist nämlich immer noch nicht selbstverständlich, dass man wohnen kann, ohne sich tief verschulden zu müssen. Wenn einem Bürgermeister, noch dazu einem Vertreter des SVP-Arbeitnehmer-flügels, 400.000 Euro als „leistbare Wohnung“ gilt (siehe Titelgeschichte), dann ist das im Grunde genommen ein Skandal – und eine politische Bankrotterklärung.
Es hilft nun nichts, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Es braucht einen Neuanfang in der Wohnpolitik. Warum sollte das in Südtirol nicht gelingen? Dieses Land hat alle Voraussetzungen dafür, neue Wege zu beschreiten. Dafür braucht es politischen Willen, Entschlossenheit und Kreativität. Ein Anfang ist schon gemacht, wenn eine Gesellschaft in der Lage ist, einen Konsens darüber herzustellen, was sie will und was sie nicht will. In Bezug auf das Wohnen gibt es diesen Konsens bereits, auch wenn er unausgesprochen ist: Was auf dem Wohnungsmarkt geschieht, ist inakzeptabel! Es braucht nur noch jemanden, der diesen Satz effektvoll politisiert. Dann ist das Problem dort gelandet, wo es wirklich hingehört, ins Zentrum der Politik. Dann erst wird sich was ändern.
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