Leitartikel

Genug geredet!

Aus ff 36 vom Donnerstag, den 09. September 2021

Leitartikel 36/21
Wenn wir jetzt nicht handeln, verspielen wir die Zukunft. Dann sind wir sowieso nicht mehr autonom. © FF Media
 

Vor dem Landtag in Bozen wird uns die Autonomie erklärt. Das ist schön. Doch was kommt jetzt? Die Antworten liegen seit Jahren auf dem Tisch. Wir sollten endlich handeln!

Vor dem Südtiroler Landtag hat die Landesregierung die Geschichte der Autonomie aufstellen lassen. Schicke rote Stelen, interaktiv, mit Filmchen und Tonaufnahmen, mit Spiegeln, mit denen der Betrachter selber Teil der Ausstellung wird. Schließlich ist doch jeder Teil der Geschichte – man kann sich ihr nur stellen.

Dort, auf dem Platz, auf den der Landeshauptmann hinabschaut, feierte man am vergangenen Sonntag 75 Jahre Pariser Vertrag. Das ist das Papier, auf dem die Südtiroler Autonomie aufbaut – sie musste freilich erst mit Inhalten gefüllt werden. Das wirklich Schöne daran ist, dass es friedlich geschah, dass die Politik der Versuchung zur Gewalt widerstand. Die Autonomie ist eine Erfolgsgeschichte, auch wenn in ihr das Nebeneinander der Sprachgruppen und nicht das Miteinander angelegt ist. Aber es ist eben ein friedliches Nebeneinander.

Der Platz vor dem Landhaus, auf dem die Südtirol-Autonomie in neun Stationen gefällig aufbereitet ist, ist nach Silvius Magago benannt, dem Landeshauptmann, der in zähen Verhandlungen Italien das zweite Autonomiestatut abrang Es trat 1972 in Kraft, auf ihm ruht der heutige Wohlstand des Landes. Die Autonomie ist auf viel Geld gebaut: Hält sie auch in mageren Zeiten?

In der Figur von Silvius Magnago spiegelt sich die Autonomie, wie sie ist. Die Überzeugung, dass in einer Konfliktsituation nur Diplomatie hilft. Das starre Denken, das die Geschichte (und die Opfer der Geschichte) wegdrängte. Die Überzeugung, die auch Magnago mittrug: Je mehr wir trennen, desto besser verstehen wir uns. Dieses Bekenntnis ist heute nicht mehr so laut, aber in die DNA der Südtiroler Volkspartei eingeschrieben.

Die Stationen vor dem Landtag und dem Sitz des Landeshauptmannes lassen auch die Brüchigkeit der Autonomie durchscheinen. Sprachgruppen, die, wenn überhaupt, nur mühsam zueinander finden, die Geschichte, die noch keine gemeinsame, die Mehrsprachigkeit, die nur ein Papiertiger ist. Die neuen Bewohner dieses Landes, die erst ihren Platz finden müssen im Gefüge der Autonomie. Überspitzt gesagt, gilt in Südtirol: Es darf keine andere Minderheit neben den Südtirolern deutscher Muttersprache geben.

Am Ende stellen die Erfinder des Parcours die Frage: Was jetzt, wie lässt sich die Autonomie weiterentwickeln? Manchmal kann man ja den Eindruck haben, dass die Weiterentwicklung der Autonomie nicht bedeutet, den Horizont zu öffnen, sondern nur die Brieftasche zu füllen.

Auf der Tafel sind die die Zukunftsfelder aufgelistet: Naturschutz und Landschaftsschutz, Klimawandel, Proporz (was macht es mit Menschen aus mehrsprachigen Familien, die sich für eine Sprachgruppe erklären müssen?), eine weiblichere Zukunft, Schutz anderer Minderheiten (Zugewanderte, sexuelle Minderheiten), die Rechte von Behinderten. Würdige Anliegen zweifellos.

Aber auch Themen, die seit Jahren auf der Tagesordnung stehen. Umweltschutz, Verkehr oder Nachhaltigkeit waren schon vor 40 Jahren Thema bei den Toblacher Gesprächen – die jeweilige Landesregierung schaute weg oder belächelte die Umweltmissionare. Vor dem Klimawandel warnt seit Jahren ein Experte wie Georg Kaser. Viele Versuche, die Politik weiblicher zu machen, wurden abgeblockt und hintertrieben. Und was tut man für Geflüchtete, deren Elend im Bahnhofspark neben dem Landhausplatz sichtbar ist?

Ja, wir können gerne über diese Themen reden. Ohne gesellschaftliche Teilhabe, auch so ein haariges Thema in Südtirol, ist eine Lösung ohnehin nicht zu haben. Aber eigentlich liegen die Lösungen auf der Hand – wissenschaftlich gut begründet. Manchmal ist Reden auch nur ein Wegreden der Probleme, Furcht vor klaren Entscheidungen. Wir hätten lange schon vom Reden ins Tun kommen müssen. Handeln wir nicht jetzt, verspielen wir die Zukunft (der Autonomie).

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