Leitartikel

Unrühmliches Sittengemälde

Aus ff 50 vom Donnerstag, den 16. Dezember 2021

Leitartikel 50-21
Das jüngste Sittengemälde zeigt nur, dass es frappierend einem älteren gleicht. © FF Media
 

Die Abhörprotokolle rund um Sad-Besitzer Ingemar Gatterer offenbaren fragwürdige Methoden. Mittendrin Altlandeshauptmann Luis Durnwalder.

Das Wort Gemälde kann schöne Assoziationen wecken. Man mag an farbenfrohe, in Temperafarben gemalte Bilder denken, etwa solche, wie sie uns die altflämischen Meister, die Barockmaler Rubens oder Brueghel, hinterlassen haben. Beim Begriff Sittengemälde verhält es sich schon ein wenig anders, eine selbstverständliche Verbindung zum Schönen mag sich nicht einstellen. Der Begriff Sittengemälde steht nämlich für die Schilderung der Sitten einer bestimmten Epoche, eines bestimmten Volkes oder bestimmter Schichten. Und diese Sitten sind im gesellschaftspolitischen Kontext oft wenig erbaulich. Sie zeigen nicht selten, wie zügellos und manchmal geradezu schamlos hinter den Kulissen für die eigene Sache agiert oder intrigiert wird.

Die Titelgeschichte dieser ff-Ausgabe zeichnet so ein Sittengemälde, eines, das von Südtirol der jüngsten Vergangenheit erzählt. Es erzählt von Akteuren mit wirtschaftlichem und politischem Einfluss, davon, wie diese versuchen, diesen Einfluss auch geltend zu machen. Das Motto lautet: Der Zweck heiligt die Mittel.

Zeugnis hierfür sind die Abhörprotokolle, die in Zusammenhang mit der umstrittenen Vergabe der öffentlichen Busdienste gesammelt wurden. Aus den Protokollen geht unter anderem hervor, wie aus dem Umkreis um Sad-Chef Ingemar Gatterer versucht wurde, den öffentlichen Nahverkehr weiterhin in der eigenen Hand zu behalten. Ein legitimes Unternehmens-Interesse, möchte man meinen. Dieses hört aber dort auf, wo fragwürdige Methoden beginnen. Im Bemühen, sich gegen den Kontrollverlust zu stemmen, hat sich vor allem einer hervorgetan: Altlandeshauptmann Luis Durnwalder. Das gibt in mehrerlei Hinsicht zu denken.

Wohlgemerkt: Die Staatsanwaltschaft konnte keinerlei strafrechtlichen Verstoß feststellen. Alles legal, ließe sich also sagen. Doch es gibt auch einen moralischen Aspekt bei dieser Geschichte. Wie kommt ein Politiker, der fünf Legislaturen lang als Landeshauptmann in den Diensten dieses Landes stand, dazu, sich erklärtermaßen als Berater vor den Karren eines Privatunternehmens spannen zu lassen, das sich vor allem dadurch auszeichnet, unzählige Prozesse gegen dieses Land zu führen? Wie kommt Durnwalder Jahre nach seinem Ausscheiden aus der Politik dazu, die Besetzung der Landesregierungsposten beeinflussen zu wollen, indem Daniel Alfreider als Mobilitätslandesrat verhindert werden sollte? Ganz abgesehen davon, dass die unzähligen Streiks der Sad-Mitarbeiterschaft in der jüngsten Vergangenheit viel über die Art der Unternehmensführung in der Sad selbst aussagen dürften, für die Durnwalder den Lobbyisten und Berater spielte.

Gewiss: Luis Durnwalder hat sich große (autonomiepolitische) Verdienste um Südtirol erworben, er hat richtungweisende Weichen gestellt, die dieses Land weitergebracht haben. Und er hat die Sprachgruppen näher zueinander gebracht. Das ist nicht wenig. Doch es gab nie nur den einen Luis Durnwalder.

Muss man daran erinnern, dass er in der Causa Sonderfonds in letzter Instanz vom Kassationsgerichtshof zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden ist? Dass er Zuwendungen, die er im Amt tätigte, mit privaten Ausgaben verrechnete und damit eine höchst seltsame Praxis offenbarte, wie mit öffentlichem Geld umgegangen wird? Muss man daran erinnern, dass Durnwalder (mit seinem Adlatus Michl Laimer) in der Sel-Affäre das Vertrauen in die Landespolitik nahezu beispiellos untergrub? Dass er in seinem blinden Bestreben, private Konkurrenten vom Strommarkt fernzuhalten, indirekt Kraftwerkprojekte versenkte, die gut einem Dutzend Südtiroler Gemeinden nachweislich etliche hundert Millionen Euro eingebracht hätten?

Ja, man muss an diese Dinge erinnern. Sie stellen die Kehrseite ungezügelter Machtpolitik dar. Das jüngste Sittengemälde zeigt nur, dass es frappierend einem älteren gleicht.

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