Missbrauch – Katholische Kirche
Leitartikel
Den Abschied vom Alten wagen
Aus ff 04 vom Donnerstag, den 27. Januar 2022
Luis Durnwalder sollte sich Angela Merkel zum Vorbild nehmen. Aber weil er ihr Format nicht hat, muss die SVP nun einen Schnitt machen.
Es ist noch keine zwei Monate her, dass Angela Merkel das Kanzleramt verlassen hat. 16 Jahre lang war sie Bundeskanzlerin, 18 Jahre lang Chefin der CDU. Ihr ist jetzt der Ehrenvorsitz ihrer Partei angetragen worden. Sie lehnte ab. Sie sei zur Einschätzung gekommen, so die Begründung, dass ein solches Amt nicht mehr in die Zeit passe. Das sei eine Tradition von früher.
Gut so!
Angela Merkel hat losgelassen. Sie ist die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, die nicht aus dem Amt gewählt wurde. Sie gab ihre Macht freiwillig ab. Und jetzt der Abschied von der Partei. Merkel hat den Weg frei gemacht. Damit hat sie ihrem Land und ihrer Partei einen großen Dienst erwiesen. Deutschland kann sich aufmachen in eine neue Zeit, in eine Zeit nach Merkel, ohne dass der Schatten der Kanzlerin auf dem Land lastet. Die christliche Volkspartei kann ihre Zukunft jetzt selbst in die Hände nehmen – ohne befürchten zu müssen, dass da ständig eine Ehrenvorsitzende nervt und sich einmischt.
Luis Durnwalder sollte sich Merkel zum Vorbild nehmen. 25 Jahre lang ist er Landeshauptmann gewesen, er ist Träger des Großen Goldenen Ehrenzeichens der Südtiroler Volkspartei. Der heute 80-Jährige könnte sein Dasein als Ruheständler genießen. Durnwalder aber kann das nicht. Die Macht ist seine Droge. Sie hat ihn süchtig gemacht.
Das nun ist nicht sein persönliches Problem, es ist ein Problem für Südtirol. Die Veröffentlichung der Abhörprotokolle in der Sad-Affäre ist nur das jüngste Beispiel dafür: Als Sad-Berater versuchte Durnwalder 2018/19 die Bildung der neuen Landesregierung zu beeinflussen. Von den vielen Sticheleien seit seinem Abgang 2013 als Landeshauptmann gegen seinen Nachfolger ganz zu schweigen. Viele in der SVP haben es sich lange im Windschatten Durnwalders bequem gemacht. Und die Partei hat ihn gewähren lassen. In der Causa Sonderfonds ebenso wie in der Sel-Affäre, um nur zwei weitere Beispiele zu nennen. Er ist der Übervater, von dem sich auch die SVP nicht lösen kann. Die Parteispitze sagt, sie wolle die Sad-Geschichte mit den darin verwickelten Protagonisten aufklären, unter diesen auch der Altlandeshauptmann.
Das würde aber auch bedeuten: Sie muss einen Schnitt machen. Da Durnwalder nicht das Format von Angela Merkel hat, muss die SVP ihn verabschieden. Was Durnwalder macht, das ist nämlich für Südtirol nicht gut, und es ist für die SVP nicht gut.
Freilich, eine Distanzierung von Durnwalder ist nicht ohne Risiko. Ein Großteil der sogenannten Basis steht weiter zu ihm, je tiefer man in die Täler vordringt, umso mehr Dunrwalder-Anhänger wird man finden. Auch in der Partei wird es manche geben, die weiter zu ihm stehen.
Aber wem in der Partei jetzt die Knie zittern aus Angst vor dem Patriarchen, oder wer sich aus falsch verstandener Loyalität weigert, das Nötige zu tun, der erinnere sich an Angela Merkel. 1999 schrieb sie als Generalsekretärin der CDU einen Brief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Inhalt war spektakulär. Merkel forderte die CDU auf, sich von Helmut Kohl zu verabschieden. Der alte Patriarch war tief in eine Spendenaffäre verwickelt. „Die Partei muss laufen lernen“, schrieb Merkel. Die Partei müsse sich „wie jemand in der Pubertät von zuhause lösen“.
Lob bekam Merkel dafür damals nicht. Sie wurde als Vatermörderin denunziert. Nun, das war sie auch. Sie tat aber, was nötig war. Nach dem Sturz Kohls sollte die CDU bald an die Macht kommen. 16 Jahre regierte die Partei Deutschland. Die CDU hatte wieder eine Zukunft, weil Merkel das Denkmal Kohl stürzte.
Also, liebe SVP – lass das mal mit dem Zähneklappern und nimm deine Zukunft selbst in die Hand.
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