Leitartikel

Gut, aber zu spät

Aus ff 08 vom Donnerstag, den 24. Februar 2022

Leitartikel 08-22
Leitartikel 08-22 © FF Media
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Ehrenzeichen des Landes Tirol

There is a crack in everything“, so lautet eine Liedzeile des kanadischen Songwriters Leonard Cohen. Es geht ein Riss durch alle Dinge. Solche Risse ziehen sich auch durch Südtirols Gesellschaft. Das war immer schon so, und so eben auch heute. Weil diese Bruchstellen nun einmal immer dort entstehen, wo Interessen und Werte aufeinanderprallen, wo Gegensätze sich verschärfen.

Wenn nun am vergangenen Sonntag Lilli Gruber, Reinhold Messner und Josef Zoderer das Ehrenzeichen des Landes Tirol erhalten haben, dann sollte damit einer dieser Risse gekittet werden. Das ist ein nobler Einfall, er kommt nur um Jahrzehnte zu spät. Wirklich mutig wäre es gewesen, diese drei in jenen Zeiten zu ehren, als sie am meisten angeeckt sind, als sie Salz in die Südtiroler Wunden streuten und unbequeme Fragen stellten. Eben als sie es waren, die im starren und verkrusteten Südtirol die Risse öffneten.

Eine Ehrung zu einem früheren Zeitpunkt hätte Südtirol dabei geholfen, sehr viel früher das Andersdenken, das Anderssein zu akzeptieren. Sie hätte zwischen Gegensätzen vermittelt und dadurch Spielräume geschaffen, um einander offen zuzuhören und einen kritischen Diskurs zu führen. Stattdessen wurde abgegrenzt, ausgegrenzt und abgewertet.

Mit Gruber, Messner und Zoderer sind drei streitbare, gesellschaftskritisch engagierte Persönlichkeiten geehrt worden – und das ist gut so! Jetzt aber so zu tun, als ob mit dieser Ehrung endlich auch das „andere Südtirol“ seinen Platz finden würde, greift zu kurz. Die drei stehen für ein Südtirol, das es immer schon gab. Und heute gehören sie längst selbst zum Establishment, gegen das sie einst anrannten. Wer ist heute das „andere Südtirol“? Sind es die Impfgegner? Die Klimaaktivisten? Das ist ein ketzerischer Gedanke. Aber ebensolche brauchen wir, wenn wir weiterkommen wollen. Um Südtirol zu einem offenen, toleranten Land zu machen, braucht es mehr als salbungsvolle Ehrungen. Diese sind nur Fassade einer demokratischen Geschlossenheit.

Risse sind eben auch was Positives. „That’s how the light gets in“, so geht Cohens Liedzeile weiter. Durch sie dringt Licht in die Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die es aushält, sich zu hinterfragen, kann wachsen. Hierin liegt der Reiz.

Leserkommentare

1 Kommentar
Artim
25. Februar 2022, 12:57

Es sollte auch um reflektierte Benennungs- und Verarbeitungsprozesse im Umgang mit Geschichte gehen.
Die Tibeter (d.w.m.) z.B. sehen es (möglicherweise) anders. Traditionell umrunden diese und bezwingen die Berge ja nicht. Und eignen sich auch keine Tiroler Kulturgüter für touristische Jahrmarkt-Museen an und bekommen dafür auch keine öffentlichen Gelder. Messner scheint zumindest aber aus einer eurozentrischen Sichtweise Meriten im Sport des Bergbezwingens zu haben.
Aber wohl kaum bei reflektierten Benennungs- und Verarbeitungsprozessen im Umgang mit Geschichte. Leider wie auch andere mit ihren unsäglichen Vergleichen.
Ich lese auf Südtiroler Tageszeitung (ST): "Wir haben – wenn Sie nach Deutschland blicken – eine Situation wie in den 1920er-Jahren."
Absurd auch: "das andere Südtirol" Man kennt das "andere" (bessere) Deutschland im historischen Kontext aus der Zeit der Diktaturen (1933-1989).
Aber die Übertragung auf die freiheitlich-demokratische Zivilgesellschaft Südtirols und die parteipolitische Instrumentalisierung durch die Vorgänger-innen der "Grünen" damals war immer schon problematisch. Aber man wollte eben weg von "lotta continua", „Neue Linke“ und gab sich als „Alternative", als "das andere Südtirol“. Heute denkt man bei "Alternative" gleich an einen bundesdeutschen Ableger. Eine irrige Auffassung, wie wir wissen.
Andererseits, was ist heute noch klar? Welcher Tiroler Preisträger (d.w.m.) hätte je in der Würdigung seiner Person gar eine parteipolitische Unterstützung des Landeshauptmannes gesehen (ST: "weil die Auszeichnung auch ein Statement zugunsten des Landeshauptmannes ist …" — ohne damit nicht nur das Ehrenzeichen zu beschädigen, sondern auch gleich noch den LH A.K. selbst. antworten

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