Leitartikel

Wir haben verschlafen

Aus ff 10 vom Donnerstag, den 10. März 2022

Zitat
 

Bereits vor dem Ukraine-Krieg waren die Preise zu hoch und die Löhne zu niedrig. Jetzt zahlen wir die Zeche – weil wir es verabsäumt haben, in den Boom-Jahren Taten zu setzen.

Ein Stopp auf einer Autobahnraststätte war noch nie günstig. Seit Jahren zahlt man über 5 Euro für einen Panino. Verglichen mit den aktuellen Preisen ein Schnäppchen. 7,50 Euro, so viel habe ich jüngst für einen „Bufalino“ bezahlt, also einer Focaccia mit Mozzarella di Bufala und Rohschinken. Günstiger ging es nur mit Speck und Brie – für 6,90 Euro.

Der „Bufalino“ ist nur ein Beispiel dafür, wie die Preise explodieren. Seit Ausbruch der Pandemie gibt es nur eine Richtung – und die zeigt nach oben. In Südtirols gehobener Gastronomie liegen die Preise für eine Hauptspeise mancherorts zwischen 30 und 40 Euro. Und in kaum einem Gasthaus gibt es eine Schüssel Salat noch unter 10 Euro.

Die Gründe für die Teuerung sind schnell erklärt: Weltweit sind Lieferketten zusammengebrochen. Dazu kamen knappe Ressourcen und immer höhere Roffstoffpreise, Sprit- und Energiekosten. Mehrkosten, die seit zwei Jahren an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben werden. Ob sie immer krisenbedingt waren, bleibt dahingestellt.

Fakt ist: Es kommt noch dicker. Die Hoffnung vieler Experten auf eine Entspannung der Märkte zur Mitte des Jahres, wurde von Putin zunichte gemacht. Von einem Tag auf den anderen. Seine militärische Invasion in die Ukraine ist eine nicht vorstellbare Katastrophe. Für Millionen von Menschen gibt es im Moment nur einen Ausweg: die Flucht oder das Versteck.

Auch uns Südtirolern hat Putin den Krieg erklärt. Keinen militärischen, sondern einen finanziellen. Verglichen mit dem Leid der ukrainischen Bevölkerung ein sehr kleines Übel. Dennoch: Vieles, das ohnehin schon teuer war, steigt jetzt zusätzlich. Vom Sprit bis zum Brot. Wie stark die Preise noch ansteigen, hängt davon ab, wie lange Putin seine Invasion fortsetzt.

Die Frage ist: Wo liegt unsere Schmerzgrenze? Welche Höchstpreise werden wir akzeptieren? Und welche Alternativen gibt es? Die ernüchternde Antwort: Es gibt kaum Alternativen. Warum? Weil wir verschlafen haben. Wir haben viel zu viel geredet, aber viel zu lahm gehandelt.

Erstes Beispiel: Seit Jahren reden wir über den Ausbau von erneuerbaren Energien. Fakt ist, Italien gewinnt gerade mal 38 Prozent der Energie aus Wasserkraft, Windkraft und Fotovoltaik. Die Abhängigkeit von russischen Gasimporten ist massiv. Ministerpräsident Mario Draghi will es nun richten. Um die Energieversorgung zu sichern, hat er Kontakte zu Algerien und Katar aufgenommen. Eine Alternative ist das nicht. Im Gegenteil: Wir machen uns aufs Neue abhängig.

Zweites Beispiel: Wir priesen zuletzt immer wieder die Stärkung lokaler Kreisläufe. Fakt ist, dass wir es nicht mal ansatzweise schaffen, uns selbst zu versorgen. Ein Drittel des Weizens, den wir in der EU konsumieren, importieren wir aus Russland und der Ukraine. Eine Abhängigkeit, die uns teuer zu stehen kommt. Jetzt umstellen, mag funktionieren, aber nicht von heute auf morgen.

Drittes Beispiel: Seit auch in Südtirol die Inflation steigt, wird der Ruf nach höheren Gehältern lauter. Wir haben es verabsäumt, Arbeitnehmer in den Boom-Jahren am Aufschwung teilhaben zu lassen. Denn über Geld lässt sich jetzt, wo sich Arbeitgeber mit explodierenden Kosten konfrontiert sehen, nicht mehr leicht verhandeln.

Putin hat uns den Preiskrieg erklärt. Und wir haben uns nicht ausreichend darauf vorbereitet. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Am stärksten wird es mal wieder Geringverdiener oder Mindestrentner treffen. Ein warmes Wohnzimmer wird für sie genauso zum Luxus wie ein prall gefüllter Kühlschrank.

Noch können wir nicht erahnen, wie sehr die Teuerung unseren zuletzt so gesicherten Lebensstil verändern wird. Noch ist keine Panik angesagt. Vielleicht aber ein intensiveres Genießen von bisher Selbstverständlichem – von Frieden etwa. Oder auch nur von einem „Bufalino“.

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