Kunst – Robert Pan
Leitartikel
Die Herkulesaufgabe
Aus ff 18 vom Donnerstag, den 05. Mai 2022
Südtirols Touristiker werben gerne mit Heimat. Viele Südtiroler haben allerdings das Gefühl, dass ihnen der Tourismus die Heimat nimmt.
Arnold Schuler ist seit mehr als drei Jahren Landesrat für Tourismus. Ebenso lange sucht er nach einem Weg, wie sich Südtirol in Zukunft touristisch entwickeln soll. „Wir brauchen eine Vision dafür“, sagte er im Sommer 2019 zur ff und kündigte noch für dasselbe Jahr ein „Landesentwicklungskonzept für den Tourismus“ an. Drei Jahre (!) nach dieser Ankündigung legt er jetzt das Konzept vor. Nun: Es ist ein für die Branche freudloses Papier geworden.
Sicher, der Strukturwandel im Tourismus ist für Südtirol eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen. Schuler hat also eine gewaltige Aufgabe zu bewältigen. Er ist sie angegangen, ohne großen Elan.
Statt an der Größe der Aufgabe orientiert sich die Landespolitik an den Widerständen und Einwänden der diversen Interessenverbände – allen voran Bauernbund und Hotelier- und Gastwirteverband. Dabei weiß man, dass eine der zentralen Aufgaben darin besteht, Tourismustreibende und Einheimische zu versöhnen. Es geht darum klarzumachen, dass man einander braucht. Der innere Frieden ist eine Voraussetzung dafür, dass der Tourismus gedeihen kann. Zurzeit ist es so, dass vom Geschäft mit den Gästen immer weniger Südtiroler profitieren. Vielen Einheimischen wird der Rummel zu viel. Sie sehen, wie ihre Heimat unter ihren Augen verschandelt wird. Während die Tourismusindustrie mit heimeligen Bildern für Südtirol wirbt, haben immer mehr Südtiroler das Gefühl, dass sie entwurzelt werden.
Schon vor der Pandemie wurde „overtourism“ – also ein Überschuss an Tourismus – in Südtirol zu einem Thema. Heute, nach der Pandemie, ist es immer noch Thema. Viele haben aus der Krise keine Lehre gezogen, sie wollen weitermachen wie bisher.
Immerhin, es gibt zum Großteil das Bewusstsein, dass es weniger Betten braucht, dass das Wachstum an Gästen und Nächtigenden nicht so weitergehen kann wie bisher und man mehr auf die Qualität und Nachhaltigkeit setzen muss. Schulers Konzept enthält durchaus gute Ansätze, es geht um einen Bettenstopp, die Vermeidung der CO2-Emissionen und die Verwendung regionaler Produkte. Betriebe, die besonders klima- freundlich arbeiten, können ihre Sterne für ihre Imageaufwertung grün einfärben. Das Problem ist nur: Es gibt einen großen Widerspruch zwischen den Zielen, die von der Tourismuspolitik genannt werden, und dem, was sie derzeit umsetzt. Es wäre gut, wenn sich die Wirklichkeit so schnell als möglich jenen Strategien annähert, die nach außen in Sonntagsreden vertreten werden.
Ein Beispiel: Für eine bessere Steuerung der Touristen steht ein Instrument mit Potenzial zur Verfügung: der Preis. Bis heute bezahlt der Massentourismus nicht für das, was er konsumiert. Der öffentliche Raum, der an sich schon eine Sehenswürdigkeit darstellt, kostet wenig bis nichts. Das muss sich ändern. Mit guten lokalen Angeboten lassen sich die Ströme auch umlenken – an Orte, die genauso schön, aber noch weniger bekannt sind. Auch das trägt zur Wertschöpfung bei.
Gewiss ist es eine Herkulesaufgabe, wie sich der Tourismus in Südtirol künftig aufstellen muss. Sie ist nur zu bewältigen, wenn die Politik bereit ist, viele Menschen vor den Kopf zu stoßen. Die alten Lösungsmuster haben ausgedient. Die neue Tourismusstrategie läuft unter dem Motto „TourisMUT“. Es soll ein Appell an Politik, Touristiker und Bevölkerung sein, mutige Entscheidungen zu treffen.
Man sollte spätestens jetzt damit anfangen.
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