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Leitartikel
Statt Blumen
Aus ff 19 vom Donnerstag, den 12. Mai 2022
Mutterschaft ist eine zutiefst politische Kategorie. Eine Politik, die sich an Müttern ausrichtet, wäre eine gute Politik für alle.
Am vergangenen Sonntag war es wieder soweit. Da wurden die Mütter geehrt und gefeiert. Aber ist es mit dem Kauf des Blumenstraußes oder der Schachtel Pralinen getan?
Der Muttertag und seine Rituale haben etwas Anachronistisches. Sie wirken ein bisschen aus der Zeit gefallen, und das umso stärker, je größer der Spagat wird, der Müttern an den übrigen 364 Tagen des Jahres abverlangt wird.
Das gesellschaftliche Bild einer modernen Mutter ist noch nicht gefunden. Weil Frauen in der Art, wie sie ihr Muttersein leben, von der Gesellschaft immer noch stark bevormundet werden. Gerade an einem Tag wie dem Muttertag müsste gesagt werden, dass Mütter die Freiheit haben sollten, ihr Muttersein unabhängig vom Urteil anderer zu gestalten. Frauen werden immer noch zu stark von außen daraufhin bewertet, wie sie ihr Leben organisieren. Auch, weil wir Menschen immer noch Rollen zuteilen: Mann – Frau.
Seinen Ursprung hatte der Muttertag übrigens in der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts. Die ersten Feierlichkeiten standen ganz klar im Zeichen der Politik, den Frauen ging es um Solidarität, um Frauenrechte, um Bildung, sie waren auch Teil der Friedensbewegung. Von alldem liest man heute auf den Muttertags-Glückwunschkarten nichts mehr. Dabei ist Muttersein/Mutterschaft eine zutiefst politische Kategorie. An Müttern sehen wir heute die Auswirkungen von Arbeits-, Familien- und Sozialpolitik. Eine Politik, die sich also an Müttern ausrichtet, wäre eine gute Politik für alle.
Kinder in Südtirol werden hauptsächlich von ihren -Müttern betreut. So sagt es die aktuelle Familienstudie des Landes-statistikinstituts Astat, die vergangene Woche der Öffentlichkeit präsentiert wurde. 77 Prozent der Mütter bleiben daheim, wenn ein Kind krank ist, 70 Prozent der Mütter bereiten das Essen zu, 67 Prozent helfen den Kindern bei den Hausaufgaben. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Zwar stimmen 18 Prozent voll und ganz zu, wenn gesagt wird, dass Kinder und Karriere für Mütter vereinbar sind, und weitere 42 Prozent stimmen ziemlich zu. Gleichzeitig erklären aber insgesamt 80 Prozent, dass Kinder eine Arbeitsreduzierung für die Mutter notwendig machen. Weiters geben sechs von zehn Eltern an, Schwierigkeiten in der Organisation der Kinderbetreuung zu haben.
Vereinbarkeit von Beruf und Kindern ist kein individuelles Selbstverwirklichungsding. Es ist ein gesellschaftspolitisches Projekt. Machen Gesellschaft und Politik nicht mit, stehen Eltern dumm da. Macht auch der Vater nicht mit, bleibt eine Dumme übrig.
Noch immer halten genug Männer ihr Berufsleben und ihre Karriere automatisch für wichtiger als die ihrer Partnerinnen. 94 Prozent der befragten Südtiroler Männer arbeiten Vollzeit, im Vergleich dazu nur 56 Prozent der Frauen, 44 Prozent arbeiten Teilzeit. Zwei Drittel davon entschieden sich dafür, um sich besser um die Kinder kümmern zu können.
Wir alle werden immer wieder mit gesellschaftlichen und auch persönlichen Prägungen konfrontiert. Aber es liegt an uns selbst, diese immer wieder zu hinterfragen und so starre Geschlechterrollen aufzubrechen. Es könnte ein Anfang sein, Mutterschaft gesellschaftlich endlich neu zu denken.
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