Ausstellung – Palais Mamming Meran: (gm) Als Ezra Pound 1958 auf die Brunnenburg in Dorf Tirol zurückkam, rollte man ihm den ...
Leitartikel
„Kacksystem“ und Giorgia M.
Aus ff 30 vom Donnerstag, den 28. Juli 2022
Dieser Sommer wird als Katastrophensommer empfunden. Dabei steht die politische Katastrophe erst noch bevor.
Ich tu mich etwas schwer mit diesem Sommer, der eigentlich – zumindest was das Wetter anbelangt – ein wunderbarer Sommer ist, endlich mal wieder. Aber kann ich mich trauen, dies laut zu sagen?
Als ich es sagte, inmitten einer Runde von Personen, die sich zufällig zum Aperitif getroffen hatten, erntete ich das, was man einen Shitstorm nennt: Schöner Sommer? Von wegen! Wo ich denn lebte? Ob ich denn Scheuklappen vor den Augen hätte!
Und schon prasselte es auf mich nieder: Klimakrise, Gletscherschmelze, Trockenheit, Waldbrände, Borkenkäfer. Ich bestellte eine neue Runde, in der Hoffnung, damit irgendwie die Stimmung zu heben oder das Thema zu wechseln. Stattdessen ging es erst richtig los.
In einem Crescendo der Empörung prustete es nur so aus den Kehlen heraus: die horrenden Ölpreise, die dramatische Personalnot, der drohende Verkehrskollaps, die Pandemie, deren dickes Ende im kommenden Herbst erst noch bevorstehe. „Und wer soll sich das Leben noch leisten können?“ Die Frage war – verbunden mit bösen Blicken – an mich gerichtet. Während ich nach einer halbwegs passenden Antwort suchte, wurde zu meinem Glück noch ein weiteres dickes Scheit draufgelegt: „Der Krieg in der Ukraine geht völlig unter. Dabei habe ich gelesen, dass dieser Krieg sich zum Weltkrieg ausweiten könnte. Dann gute Nacht!“
Gute Nacht wunderbarer Sommer: Abgewatscht und ziemlich deprimiert radelte ich nach Hause. Immerhin eine Erkenntnis glaubte ich bei diesem Hagelschlag von Katastrophenmeldungen gewonnen zu haben: Unsere Gesellschaft scheint tatsächlich aus den Fugen geraten zu sein.
Vielleicht hat Barbara Plagg also doch recht. Von der Wissenschaftlerin und Lehrbeauftragten an der Uni Bozen habe ich erfahren, dass wir in einem „Kacksystem“ leben (siehe Sommergespräch in ff 28/2022). Ihre Forderung: Wir müssten „aufhören, uns an ein Kacksystem von vorgestern anzupassen“. Der Zorn der wortgewaltigen Dame war einer weiteren Katastrophenmeldung geschuldet, die sonderbarerweise in obgenannter Runde vergessen worden war: die Kleinkinderbetreuung, natürlich „ein einziger Skandal“.
Das alles geschah just am Tag, als Mario Draghi zum Teufel geschickt wurde. Und jetzt sind wir beim eigentlichen Thema: Wie, um Himmels willen, wollen wir es bewerkstelligen, dass die aus den Fugen geratene Gesellschaft wieder halbwegs so funktioniert, wie wir uns das wünschen? Denn wie es aussieht, zeigt der Trend in eine ganz andere Richtung.
2018 hat die Mehrheit der Italiener die Schreier der 5 Sterne gewählt – mit den Folgen, die wir kennen. Bei den anstehenden Wahlen könnte es noch dicker kommen: Den Prognosen zufolge kann sich die Berufspolitikerin Giorgia Meloni Hoffnungen machen, die erste Frau an der Spitze der italienischen Regierung zu werden. Gendertechnisch gesehen eine schöne Sache, aber: Diese Dame ist das italienische Pendant von Marine Le Pen. Konkret: Mehr rechts als Meloni geht fast nicht.
Komisch, denke ich mir, dass in meiner Runde der Entrüsteten weder Politik noch Meloni noch die anstehenden Wahlen ein Thema waren. Oder vielleicht ist es doch nicht komisch: Hunde, die bellen, beißen nicht. Angesichts der vielen Probleme müsste man sich erwarten, dass die Wahlbeteiligung nahe bei 100 Prozent liegt. Stattdessen müssen wir froh sein, wenn am 25. September die Hälfte davon geknackt wird.
Bevor es im Herbst kalt wird – kalt und hässlich – will ich noch diesen Sommer genießen. Ich bleibe dabei: Trotz allem ist er wunderbar.
Weitere Artikel
-
Im Netz der Betrüger
Die Zahl der Cyberattacken steigt dramatisch an: Im Vorjahr sind in Südtirol mehr als 40 große Unternehmen Opfer von Hackerangriffen geworden. Warum das so ist. Und wie man sich schützen kann.
-
„Billiger und besser geht nicht“
Südtirol gehen die Busfahrer aus. Die beiden Gewerkschafter Hans Joachim Dalsass und Pepi Ploner fordern: „Die Politik muss endlich Geld in die Hand nehmen und Personal ausbilden lassen.“
Leserkommentare
Kommentieren
Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.