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Leitartikel
Sauber bleiben geht nicht
Aus ff 32 vom Donnerstag, den 11. August 2022
Es bleibt keine Wahl: Die kommenden Parlamentswahlen fordern akrobatische Bündnisse im Mitte-links-Lager. Welche Haltung hat die SVP dazu? Keine.
Das Wahlgesetz in Italien zwingt die Menschen, Personen zu wählen, in deren politischen Ansichten sie sich überhaupt nicht wiederfinden. Es ist eines der schlechtesten Wahlgesetze in Europa. Es nötigt die Parteien zu verwegenen Bündnissen und die Wählerinnen und Wähler zu einem verlogenen Stimmverhalten, weil die Bündnisse so breit sind, dass man von einem Ende nicht ans andere sieht. Es lässt den Wählerinnen und Wählern keine Wahl, weil sie zum Beispiel keine Vorzugsstimme geben können.
Ein Drittel der insgesamt 600 Sitze im Parlament (200 im Senat, 400 in der Kammer) werden nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben. Wer allein antritt, ist in den Wahlkreisen verloren. Er braucht Verbündete, die vorher vielleicht Feinde waren. Die Bündnisse, zu denen die Parteien also genötigt sind, sind schnell geschlossen. Und gehen ebenso schnell wieder auseinander. Ein vernünftiges Wahlgesetz, etwa mit einer Prozenthürde, würde Klarheit schaffen und Erpressungen verhindern.
Beispiel PD. Vergangene Woche war es noch Liebe zwischen dem Partito Democratico und dem ehemaligen Minister Carlo Calenda, der einer Kleinpartei namens Azione vorsteht. Sie ist noch nie bei Parlamentswahlen angetreten, im Parlament sitzen für die Partei nur Überläufer. Calenda ist eine der Treibminen in der italienischen Politik. So wie der ehemalige Ministerpräsident Matteo Renzi imstande, jedes Bündnis zu sprengen. Um bei den Wahlen am 25. September bestehen zu können oder wenigstens den Erfolg von Fratelli d‘Italia, Lega & Co. einzudämmen, hatte der PD ein Abkommen mit Calenda getroffen. Und mit den Linken von Sinistra Italiana und den Grünen – beide Parteien in Opposition zur Regierung Draghi.
Es wäre also ein Bündnis gewesen, in dem, vergleicht man es mit Deutschland, Christ- und Sozialdemokraten, die Grünen und die Linke vertreten sind. Calendas Liebe verflog rasch, er kündigte das Bündnis auf, ganz so, wie man ein Paket mit der unpassenden Kleidergröße an Amazon zurückschickt.
So (schlecht) funktioniert Politik in Italien. So wird Mitte-links bei den Wahlen ein Debakel erleiden. Meloni, Berlusconi und Salvini werden nach dem 25. September unter der Mithilfe von Mitte-links regieren, von Parteien, in denen Eitelkeit die Vernunft überwiegt. So gesehen war Mario Draghi das Beste, was Italien in den vergangenen Jahren passiert ist.
-So akrobatisch die Bündnisse im Mittte-links-Lager sind, so notwendig wären sie, um die Rechte (-europafeindlich, fremdenfeindlich, russlandfreundlich) aufzuhalten. Sauber bleiben, duro e puro sein, geht nicht, wenn man Meloni & Co. nicht die Tür aufstoßen will.
Die SVP hat es da einfacher. Die Wahlkreise in Südtirol sind so zugeschnitten, dass die Partei dort auch einen Besen aufstellen könnte. Aber welche Position nimmt sie ein? Äquidistanz zwischen Partito Democratico und Rechtsbündnis? Mit der Lega sitzt die SVP in der Landesregierung. Aber die Lega ist bekanntlich mit den Fratelli d‘Italia von Giorgia Meloni verschwistert. Wie wird die SVP sich verhalten, wenn Meloni die erste Ministerpräsidentin Italiens wird?
Einen Gefallen tut die SVP dem Rechtsbündnis, wenn sie im Senats-Wahlkreis Bozen-Unterland einen eigenen (deutschen) Kandidaten aufstellt. Das birgt zwei Risiken: Die italienischsprachigen Südtiroler wären in Rom womöglich nicht vertreten. Oder durch jemanden wie Alessandro Urzì, der im Landtag immer die Südtirol-Autonomie bekämpft hat.
Die SVP zieht in diesen Tagen rhetorische Schleifen: Aber wofür steht sie eigentlich?
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