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Leitartikel
Freiraum für alle
Aus ff 35 vom Donnerstag, den 01. September 2022
In Bozen wird ein Technofestival von der Bürokratie gegängelt. Doch ungewohnte Töne muss eine Gesellschaft aushalten. Macht Platz für die Jungen.
Bozen kann eine sehr piefige Stadt sein. In Bozen ist schnell einmal etwas verboten. Oder wird beschränkt wie die Techno-Party am vergangenen Samstag. Zwei Mal eine Stunde Pause verordnete die Stadtverwaltung den Veranstaltern vom Museion, dem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. Die Veranstaltung war Teil einer umfangreichen Recherche des Museums zu Techno und zur Techno-Szene in Südtirol.
Ja, auch das gibt es im Land, das Museion hat die Szene ans Licht geholt. Aber man weiß ja, Land & Leute haben ein verkrampftes Verhältnis zur zeitgenössischen Kunst und Kultur. Der Techno ist fremd für die meisten Ohren. Jugendkultur, ein bisschen laut, ein bisschen wild. Und was fremd und wild ist, ist zwischen den Bergen schnell verdächtig. Zu viel für Bürgerinnen und Bürger, die früh ins Bett gehen wollen.
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.
Überall, wo junge Leute feiern, stellt die Verwaltung Hindernisse auf. Dann bestimmen Bürokraten, was läuft. Renzo Caramaschi, der Bürgermeister von Bozen, ist bisweilen auch so ein pingeliger Ordnungshüter. Er rühmt sich gerne, dass er den Dirigenten Claudio Abbado nach Bozen gebracht hat, einen Helden der klassischen Musik. Klassik gibt es in der Stadt zuhauf. Das ist ja auch schön und in Ordnung. Aber warum darf dann ein Tag Techno nicht sein?
Genauso wie die Blasmusik, die Jugendorchester, die Jazzer im Kapuzinergarten, muss auch ein bisschen Techno möglich sein. Dumpf, dumpf, dumpf, dazu lässt sich gut tanzen. Das muss eine Stadt einen Tag lang aushalten. Sie hält ja sonst auch viele Dinge aus, den Ansturm der Touristen, die verstopften Straßen, die Autobahn quer durch die Stadt, die Lorenzinacht und vor der Pandemie das Altstadtfest, bei dem Volksmusiker die Stadt bis in die Nacht beschallten und der Duft der Brathühner und Schweinshaxen durch die Straßen waberte. Auch das riechen nicht alle gerne, aber müssen es für eine begrenze Zeit.
Für Wein, Brathühner und Blasmusik gibt es Lobbys, die dafür sorgen, dass es keine Pausen gibt. Wer was darf und wer wie laut sein darf, ist auch eine Frage der Macht. Wer mehr Macht hat, bestimmt die Lautstärke, bestimmt, wer wo was spielen darf und wie lange. In Bozen tobt der Kampf um den öffentlichen Raum am Obstmarkt, wo sich Nachtschwärmer und Frühschläfer bekriegen.
Was man feststellen kann: In diesem Kampf liegt die Macht nicht auf der Seite der jungen Leute, die sollen gefälligst in den Kellern der Jugendzentren ausharren oder allein daheim, wie schon seit zwei Pandemiejahren, mit dem Kopfhörer Musik hören. Neue Räume, heißt es immer wieder, braucht die Jugend, aber möglichst weit weg von der Zivilisation am Rande der Städte. Achtung Leute: Erstens ist Techno lange schon etabliert. Und zweitens: Wo befinden sich Theater, Museen, Konzertsäle, Kurhäuser, am Stadtrand oder in der Mitte der Stadt?
Ob man es nun mag oder nicht, den Unterschied zwischen E und U gibt es nicht mehr, alle Formen von Kultur gilt es ernst zu nehmen. Was ist schon Hochkultur im Gegensatz zu: was denn eigentlich? Niederkultur?
Liebe Verantwortliche aus Politik und Verwaltung, schafft Raum für alle. Wer nicht hinhören will, es nicht erträgt, kann sich ja für ein paar Stunden einen Stöpsel ins Ohr schieben.
Freiraum für alle!
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