Leitartikel

Der Marsch von gestern

Aus ff 40 vom Donnerstag, den 06. Oktober 2022

Zitat
© FF Media
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Die Schützen sind wieder durch Bozen marschiert – als Mahnung gegen den Faschismus. Gut und recht. Doch wie sie es tun, macht Angst.

Die Schützen haben es wieder getan. Sie sind mit Fackeln in der Hand und in dröhnendem Schritt durch Bozen marschiert. Eine Masse an marschierenden Männern erzeugt Angst. Geht es nicht anders, gegen den Faschismus zu demonstrieren, an den Marsch auf Bozen (und Rom) vor
100 Jahren zu erinnern, als so?

Marschtritt, Schützen, Fackeln, kompakte Anordnung, Tracht ähneln frappant den Aufmärschen jener, die man kritisiert. Die Schützen sind keine Neonazis, auch wenn sie in der Vergangenheit zwischen Nazis und Heimatschützern nicht immer zu unterscheiden wussten, aber zum Antifaschismus gehört auch ein Bewusstsein dafür, welche Mittel man im Protest einsetzt.

Es geht den Schützen darum, starke Zeichen zu setzen, gegenüber den Italienern im Land den starken Mann zu markieren. Man macht keine Kompromisse, sucht weder Konsens und schon gar nicht Versöhnung. Nein, stattdessen schürt man Gegensätze. Das ist in die DNA der Schützen eingeschrieben, ihre Existenzgrundlage.

Es gibt schlechte Beispiele für den Umgang mit der faschistischen Vergangenheit in Südtirol, etwa das Siegesdenkmal oder den Siegesplatz in Bozen – an den Siegesplatz klammerten sich selbst linke Italiener, als es darum ging, ihn in Friedensplatz umzubenennen. Es gibt noch Straßen, die an faschistische Größen oder den blutigen Kolonialismus der Faschisten in Äthiopien erinnern. Es war im Übrigen der Südtiroler Bildhauer Hans Piffrader, der das Mussolinifries am Gerichtsplatz entwarf, ab 1940 Mitglied der faschistischen Partei, ein willfähriger Diener des Duce. Nach 1945 wurde er Präsident des Südtiroler Künstlerbundes. Und heute? Heute huldigt das christliche Verlagshaus, das den Antifaschismus für sich reklamiert, der Wahlgewinnerin Giorgia Meloni.

Aber es gibt auch gute Beispiele für den Umgang mit dem Erbe des Faschismus in Südtirol. Die Inschrift von Hannah Arendt vor dem Mussolinifries in Bozen: „Du hast kein Recht zu gehorchen“ – die Schützen haben die Inschrift vor Augen, wenn sie auf dem Gerichtsplatz strammstehen. Ein anderes exzellentes Beispiel ist das Museum unter dem Siegesdenkmal, in dem Historiker aller Sprachgruppen Südtirol und sein Verhältnis mit Faschismus und Nationalsozialismus aufgearbeitet und gezeigt haben, dass man gemeinsam die Vergangenheit bewältigen kann.

In Südtirol geht die Bewältigung der Vergangenheit nur gemeinsam, aber nicht martialisch. Das ist mühsam, das erfordert, die eigenen Positionen zu hinterfragen, ohne Fakten zu verbiegen oder sich zu verleugnen. Die Sache der Schützen ist das nicht. Also ist jeder Marsch mit Fackeln fatal: Er lädt nicht zum gemeinsamen Protest gegen den Faschismus ein, hilft nicht der Erinnerungsarbeit.

Die Schützen wären jetzt enttäuscht gewesen, hätten die „Fratelli d’Italia“, die Partei von Wahlsiegerin Giorgia Meloni, nicht gegen den Marsch protestiert. Marco Galateo, Nachfolger von Alessandro Urzì im Landtag, tat ihnen den Gefallen und verlangte, den Schützen die öffentliche Förderung zu streichen.

Das nun gehört ausdrücklich verteidigt: das Recht der Schützen zu demonstrieren, die Selbstbestimmung zu verlangen (auch wenn man damit nicht übereinstimmt), den Staat und dessen Exponenten zu kritisieren. Das ist Demokratie, gedeckt von der Verfassung, auch wenn es einem nicht passt.

Leserkommentare

1 Kommentar
Artim
10. Oktober 2022, 12:31

Fratelli-d’Italia-Koordinator Galateo sieht in einem Auftritt eines Traditions- und Trachtenvereins gegen den Faschismus 2.0 eine Provokation gegen Wahlsiegerin Meloni. Wieso? Von eigenen doppelzüngigen Selbstwidersprüchen soll da wohl abgelenkt werden. Auch Hannes Obermair stoßt dieser sichtbare “etablierte Anti-Faschismus in Südtirol” in der Tradition eines Hans Egarters auf.
Als was weisen sich eigentlich Obermairs Animositäten gegenüber der Einheit des Landes Tirols, den Bozner Bürgermeister Perathoner, sein Umgang mit Geschichte aus?
Wer nach dem 24. April 1921 diesen weiteren Gewalthöhepunkt des Mussolini-Faschismus als “gewaltförmigen Versuch”, (Hannes Obermair, Rai – Südtirol, Tagesschau vom 01.10.2022) abtut, verharmlost nicht nur, sondern verfälscht postfaktisch die Ereignisse jener Zeit, kurzum Geschichte. Denn die Gewalt war konkret. Es hatte Täter und Opfer.
Ebenso wie bekannt ist, dass am 25.09. 2022 in Italien die Feinde der offenen Gesellschaft nunmehr die politische Mehrheit haben.
Es gilt sich nicht täuschen zu lassen. Die Maskeraden der Meloni und des „piccolo fascista di provincia“ sind bekannt. Zumindest sollten es sein. Ihre Ausagen zu Zwangsaustreibung für Südtiroler-innen auch. Nicht mal für eine Entschuldigung hat es bislang gereicht. Auch nicht für die Zwangs- und Terrorherrschaft, kulturellen Genozid in der Vergangenheit.
Ich hielte es für ein Debakel, würde sich das Südtirol zum Standard des Meloni-Faschismus herablassen. Die demokratische Welt braucht musterhafte Ausnahme von Übeln.
Demokrat-innen können jedenfalls mit friedlicher Demonstration und Ästhetik des Widerstands auch eines Tiroler Traditions- und Trachtenvereins umgehen. Bedenklicher finde ich, dass die italienische Demokratie zur Stunde offen mit einem leisen Selbstmord spielt. (vgl. P. Sloterdijk).
Einige Frauen, Gewerkschafter geben auf Plätzen noch Lebenszeichen. In Bozen eben ein Traditionvervein. Anderes Personal hat es im demokratischen Italien derzeit nicht. Auch wenn alle gelernt haben müssten. Principiis obsta! Wehret den Anfängen! Das Ignorieren der größeren und kleineren Zusammenhängen besonders in der Südtiroler Atmosphäre wohl weniger zulässig ist. antworten

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