Leitartikel

Recht auf Kultur. Und Wohnen

Aus ff 41 vom Donnerstag, den 13. Oktober 2022

 

Der Abriss eines Teils des Kasernenareals in Schlanders war falsch. Doch genauso falsch ist es, Kultur und Wohnbau gegeneinander auszuspielen.

Wie man sich als Politiker selber demontieren kann, hat der Bürgermeister von Schlanders, Dieter Pinggera, bewiesen. Pinggera, der im Dorf seit 2010 regiert, ließ auf dem Kasernenareal in Schlanders die Bagger auffahren und das Gebäude abreißen, in dem einmal die Kommandierenden in der Kaserne saßen.

Es war halb fünf Uhr früh am vergangenen Dienstag, als die Bagger auffuhren, eskortiert von der Gemeindepolizei. Der Bürgermeister, milde formuliert, ein knorriger Typ, und sein Gemeindesekretär wollten Fakten schaffen. Das Gebäude mit der Fassade aus Göflaner Marmor sei baufällig. Man simulierte Gefahr im Verzug (siehe Geschichte in diesem Heft auf Seite 22).

Was den Bürgermeister getrieben hat, weiß nur er selber. Dabei hat er, wenn es um die Nutzung der Kaserne geht, den Gemeinderat und einen langen Partizipationsprozess hinter sich. Das Ergebnis: 65 Prozent des Geländes, insgesamt vier Hektar, sind für den Wohnbau vorgesehen (55 Prozent gefördert, 45 Prozent frei). Jetzt ist der Abriss erst einmal gestoppt. Landeskonservatorin Karin Dalla Torre hat eingegriffen, auch wenn das Gebäude nicht unter Denkmalschutz steht.

Auf dem Gelände liegt auch die „Basis Vinschgau“, ein Kulturzentrum, eine Kreativwerkstatt – so etwas gibt es in Südtirol nicht oft. Von dort kommt der Widerstand gegen den Abriss. Es gab schnell medialen Großalarm, als seien die zwei Gebäuderiegel mit der Zentrale der „Basis“ und den Künstlerateliers abgerissen worden. Sie stehen noch. Aber die Erzählung war in der Welt: Böse Gemeinde baggert Kulturschaffenden den Raum unter dem Hintern weg. Dabei hat die öffentliche Hand gut 3,7 Millionen Euro in die „Basis“ investiert. Die Gemeinde hat das Gelände 2013 für zwei Millionen Euro dem Land abgekauft.

Wenn die Gemeinde schlau ist, wird sie die „Basis“ leben lassen und fördern. Und wenn sie ganz schlau ist, wird sie dort ein Modell schaffen, in dem sich Kunst, leben und wohnen verschränken. Hat sie den Mut dazu? Die „Basis“ muss bleiben. Aber sie wird auch damit leben müssen, dass ihr nicht das ganze Gelände gehört, die „Basis“ ist keine Privatangelegenheit.

Der Bürgermeister mag sich falsch verhalten haben, aber er hat den Gemeinderat hinter sich. Ein demokratisches gewähltes Organ hat nach langer Beratung eine eindeutige Entscheidung getroffen (nachzulesen in ff 22/22). Auch die Entscheidung der Mehrheit gehört respektiert. Wohnen ist ebenso ein Grundrecht wie Kultur machen. Falsch ist, es gegeneinander auszuspielen.

Die Opposition im Land schreit jetzt auf. Was würde sie sagen, hätte die Gemeinde auf der grünen Wiese eine Bauzone in der Größe von vier Hektar ausgewiesen? Dann würden die Umweltschützer beklagen, dass wieder ein Stück Landschaft verbaut wird. Täte die Gemeinde nichts für den Bau von Wohnungen, würde sie wahrscheinlich ebenso gescholten. Ist es etwa nicht nachhaltig, einen Teil einer aufgelassenen Kaserne für den Wohnbau zu nutzen?

Klar ist, dass der Bürgermeister mit seinem rabiaten Vorgehen das Gespräch und eine einvernehmliche Lösung mit den Leuten, die schon auf dem Gelände der Kaserne leben und arbeiten und etwas Einmaliges geschaffen haben, nahezu unmöglich gemacht hat. Mit seiner Art steht er noch ganz in der Zeit, als Bürgermeister Dorfkaiser waren.

Zur „Strafe“ sollte er jetzt die Bürger von Schlanders in einer Volksabstimmung darüber entscheiden lassen, was mit dem Kasernenareal passiert.

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.