Trotz der ständigen russischen Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur geht das Leben in Kyjiw weiter. Aber oft gibt es keinen Strom und kein Wasser mehr. Wie halten die Menschen das aus?
Leitartikel
Spiel im Abseits
Aus ff 46 vom Donnerstag, den 17. November 2022
Fußball ist ein schönes Spiel. Wenn man sich einmal dafür begeistert, kann man schwer davon lassen. Aber so wie es jetzt läuft, ...
In mein Leben kam der Fußball im Jahr 1970, einen Fernseher, schwarz-weiß, gab es aber nur bei Nachbarn, 20 Minuten zu Fuß. Es war die Weltmeisterschaft, in der Italien Deutschland mit 4:3 nach Verlängerung bezwang. Beim Endspiel Italien-Brasilien saß man dicht gedrängt in der Stube, die Kinder auf dem Boden. Es gab Jubel, als die Brasilianer ein Tor schossen. Seitdem bin ich im Fußball entsprechend sozialisiert. 1974, bei der WM in Deutschland, war dann schon ein TV-Gerät im Haus.
Die Passion für den Fußball ist geblieben, auch wenn die Kollegen und besonders die Kolleginnen es nicht verstanden: Geht das zusammen, Literatur studieren, die Nase in Bücher stecken und sich für 22 Männer oder Frauen und einen Schiedsrichter begeistern, die wirr über ein Spielfeld laufen – mindestens 100 Meter lang und 50 Meter breit.
Ich bin bis heute nicht vom Fußball losgekommen, es ist nicht leicht, ein Spiel zu versäumen. Schlechtes Gewissen habe ich deswegen keines. Fußballgucken ist der beste Zeitvertreib, leert den Kopf, lässt die Hormone in den Körper schießen – ein gutes Gefühl. Wenn die eigene Mannschaft spielt, steigt die Nervosität, ein Spiel im Stadion mit 5.000 oder auch 70.000 Menschen ist ein Erlebnis. Es gibt freilich Leute, die ihre Aggressionen ins Stadion tragen und nicht ihre Freude. Auch in Südtirol mehren sich, so berichtet Klaus Schuster, Präsident des lokalen Fußballverbandes, die rassistischen Beleidigungen (siehe Interview auf Seite 32).
Jetzt ist wieder WM und eigentlich müsste ich wissen, wer wann gegen wen spielt, einen Plan haben, wie man bei der Arbeit nebenbei Fußball schauen kann oder mir gar Urlaub nehmen. Aber diesmal fühlt es sich nicht so gut an. Eine WM im Winter und in Katar? Irrsinn. Dann vielleicht doch lieber zum
FC Südtirol ins Stadion, wo der Fußball noch nicht so vom Geld verdorben, halbwegs ehrlich ist.
Der große Fußball ist heute eine Ware für Investmentfonds, für reiche Leute, die sich mal eben einen Klub kaufen, für Spieler, die an einem Tag so viel verdienen wie ein Arbeiter im Jahr. Ein Spielball für ein paar Leute, die in den großen Fußballverbänden autoritär regieren wie der Emir von Katar. Eine totale Fehlentwicklung.
Der Profifußball hat schon längst den Boden unter den Füßen verloren, je weiter oben, umso weiter weg ist er von Anstand und Moral. Das zeigt auch die Weltmeisterschaft in Katar (nachzulesen in der Titelgeschichte in dieser Ausgabe). Doch die Fans kümmert das nicht, sie protestieren vielleicht wie die Anhänger des FC Bayern gegen die Kumpanei ihres Vereins mit Katar (für die die -Vereinsgewaltigen immer neue Ausreden finden), aber sie stehen immer in der Kurve hinter dem Tor, Spieltag für Spieltag.
Das Fansein kann man nicht so leicht abwerfen, es hat sich mit der Zeit zu einer leichten Sucht entwickelt. Um nicht hinzuschauen, muss man schon stark sein. Und es ist ja auch wahr. Gas zu liefern, ist Katar gut genug, aber die Fußball-WM ausrichten sollte es nicht. Sind beim Gas die Menschenrechte egal?
Es wäre jetzt blöd, in die Haltung zu verfallen: Früher war alles besser. Aber so wie es läuft, verdirbt es die Freude am Fußball, diesem Kinderspiel, das so schön sein kann. Das Spiel ist manipuliert von der Gier nach Geld und Macht.
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