Leitartikel

Zorniges Südtirol

Aus ff 42 vom Donnerstag, den 19. Oktober 2023

 

Die Stimmung im Land ist schlecht. Die Wut kleinreden, hilft nicht. Helfen würde, würde die Politik weniger versprechen und mehr tun.

Die Leute, die gerade Wahlkampf machen, erzählen, dass sie viel Wut begegnen, die Stimmung unter den Menschen schlecht sei, dass sie ein großes Bedürfnis haben zu reden, das Gefühl haben, nicht gehört zu werden.

„Im Gegensatz zu früher“, erzählt eine Politikerin, die schon vieles gehört hat, „sagen dir die Leute alles ins Gesicht.“

Die Stimmung ist schlecht im Land. Auch wenn Südtirol immer noch reich ist, in Frieden lebt, die Gegensätze zwischen den Sprachgruppen sich in ein gleichgültiges Nebeneinander verwandelt haben, die Unternehmen Rekordgewinne machen, der Tourismus boomt, die Restaurants voll sind. Die Politik, die Regierung, hat oft einen schlechteren Ruf als sie verdient.

Es geht uns gut. Oder doch nicht?

Woher kommen der Zorn, der Missmut, die Wut auf die da oben, der Eindruck, in einem unsicheren Land zu leben? Es wäre zu einfach zu sagen, vor Wahlen werden Probleme vergrößert, Konflikte geschürt, Regierungsarbeit niedergeredet, Unsicherheit herbeigeschrieben. Ja, das werden sie auch, besonders von der Opposition, die glaubwürdiger wäre, würde sie sagen, was gut ist, und würde sie ehrlich bekennen, dass sich Probleme nicht wie von Zauberhand lösen lassen. Ja, sie werden großgeschrieben, von den Dolomiten zum Beispiel, nennen wir die Zeitung ruhig beim Namen, die unbedingt einen ehemaligen Landesrat nach vorne schieben will.

Aber den Zorn kleinreden, hilft nicht. Geht auch nicht. Dann wird er noch größer. Und er hat ja auch Gründe.

Erstens: Die Menschen haben das Gefühl, dass die Politik ihnen nicht zuhört. Das Gebot der Stunde ist: reden, erklären, noch einmal reden und erklären. Das fällt etwa dem Landeshauptmann oft schwer, der bestimmt viel weiß und schneller checkt als andere.

Zweitens: Viele Menschen kommen wirtschaftlich nicht mehr mit. Die einen können immer mehr und die anderen nicht mehr. Ein Ausgleich wäre ein gutes Gegenmittel gegen die Wut. Das heißt: von denen nehmen, die haben.

Drittens: Manche Dinge gehen nur mit massiven Investitionen und Eingriffen der öffentlichen Hand etwa beim Bau von Wohnungen. Nicht, um sie zu besitzen, sondern um sie zu mieten. Die öffentliche Hand darf den Neubau von Wohnungen nicht nur Privaten überlassen. Weniger Tunnels, mehr Wohnungen.

Viertens: Über die Beschränkung des Tourismus ist viel geredet worden, jetzt hat er sich von selbst beschränkt, ein Minus im August – vielleicht weil die Südtiroler Hoteliers und Gastwirte bei den Preisen unverschämt geworden sind. Es wäre gut, bliebe es so, viele Leute fühlen sich daheim als Gäste.

Fünftens: Bei der ff-Elefantenrunde am Donnerstag vergangener Woche kam beim Thema Sicherheit (mit Arno Kompatscher, Ulli Mair, Brigitte Foppa, Carlo Vettori) so etwas wie Verständnis für die anderen auf. Man redete plötzlich nicht mehr in Schablonen. Vielleicht gibt es ja doch so etwas wie gemeinsame Lösungen.

Es würde die Politik beleben, könnte die SVP zugeben, dass auch die anderen gute Ideen haben, wenn es eine Anerkennung dessen geben könnte, was jeder gut macht. Das würde Südtirol gut tun, auch um ins Handeln zu kommen.

Tun, das wäre ein gutes Mittel gegen die allgemeine Wut.

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