Leitartikel

Zu viel Klein-Klein

Aus ff 31 vom Donnerstag, den 01. August 2024

 

Das Land schwimmt im Geld, nie zuvor gab es so viel zu verteilen. Doch wie investiert man es zukunftstauglich? Die Landesregierung hat dafür kaum Ideen. von Karl Hinterwaldner, Vizechefredakteur

Diese Woche werden im Südtiroler Landtag mehr als 580 Millionen Euro verhandelt, auf der Agenda steht die Zuweisung des Nachtragshaushalts. Das ist eine Menge Geld, vor allem wenn man auf das große Ganze blickt. Das Jahresbudget, das das Land Südtirol zur Verfügung hat, beträgt mehr als 8 Milliarden Euro. Zählt man da auch noch die mehrjährigen Fonds und die Beiträge dazu, die Südtirol zur Tilgung der Staatsschulden nach Rom überweist, kommt man heuer erstmals auf mehr als 10 Milliarden Euro. So viel gab es niemals zuvor zu verteilen.

Die Landesregierung kann also aus dem Vollen schöpfen. Sie steht aber vor einem Problem: Wie investiert man das Geld so, dass es schöne Früchte trägt? Und nicht verpufft, weil damit zum Beispiel nur kurzfristig Löcher gestopft werden oder längst Überholtes finanziert wird?

Geht man die Verteilerliste aus dem Nachtragshaushalt durch, drängt sich gerade dieser Verdacht auf: Augen zu und weiter so wie bisher. Da werden etwa 7 Millionen Euro für Skigebiete und für die Internationalisierung von Betrieben reserviert. Oder man pumpt 15 Millionen Euro in den Tiefbau – um die Kostensteigerungen beim Straßenbau abzudecken. Weitere 39 Millionen Euro fließen in den Südtiroler Sanitätsbetrieb, damit dieser „einen Bilanzausgleich“ vornehmen kann; sprich, nicht ohne Geld dasteht.

Natürlich gibt es auch Geld für die Wohnbauförderung, für das Landeskindergeld, für das Genossenschaftswesen, für Sportanlagen, für den Zivilschutz und, und, und. Die Liste ist schier endlos lang und enthält alles und nichts.

„Diese Regierung“, sagte die Grünen-Abgeordnete Madeleine Rohrer diese Woche im Landtag, „verliert sich im Klein-Klein.“ Die Gesetze, die sie vorlege, seien „keine guten Gesetze“. Und auch an Ideen scheine es der Rechts-rechts-
Koalition zu mangeln.

Rohrer trifft den Nagel damit auf den Kopf. Wo sind die Ideen dieser Landesregierung? Wo sind ihre Visionen? Man muss sie mit der Lupe suchen – und findet sie doch nicht. Auch wenn die Koalition von sich behauptet, zwei Drittel des Regierungsprogramms bereits angestoßen, ein Zehntel gar schon umgesetzt zu haben.

Davon ist in diesem Nachtragshaushalt wenig zu spüren. Landeshauptmann Arno Kompatscher und seine Regierungself werkeln zwar in allen Bereichen ein bisschen herum. Doch ein Ärmelhoch-krempeln, ein Brennen für eine oder mehrere neue Ideen, die uns etwa dem leistbaren Wohnen näher bringen könnten, ist nicht zu verspüren. Die Aufbruchstimmung, die der Landeshauptmann bei seinem erstmaligen Amtsantritt vor zehn Jahren versprühte, ist längst verpufft.

Und so verliert sich die Regierung im Klein-Klein, bedient einmal diese Lobby und einmal jene, dann sind alle zufrieden. Zumindest kurzfristig und ein bisschen.

Das ist viel zu wenig für ein Land, das einen Rekordhaushalt nach dem anderen vermeldet. Silvius Magnago (1914–2010) sprach einst von der Gefahr einer „moralischen Verfettung“, die Südtirols Behauptungswillen einschläfern könnte. Heute würde er wohl von einer „finanziellen Verfettung“ reden müssen, die Südtirols Zukunftstauglichkeit ausbremsen könnte.

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