Leitartikel

Zum Glück ist Südtirol Italien

Aus ff 36 vom Donnerstag, den 05. September 2024

 

Eine Bozner Schule in Bozen wollte eine Sonderklasse bilden – für Kinder, die nicht Deutsch können. Das Land hat das verboten. Und gut daran getan.

Kinder, die nicht Deutsch können, in eine Klasse? So hat man es in der Goethe-Schule in Bozen mit Schulanfängern versucht. Ein Akt der Verzweiflung, ein Hilfeschrei um mehr Mittel und Personal, mit der Stahlhelm-Fraktion in der Südtiroler Volkspartei, die schon lange Kinder trennen oder in die italienische Schule abschieben will, vereinbart? Begleitet wurde der Vorgang mit viel Trara von den Dolomiten, die bei solchen Gelegenheiten einen Rückfall in den Volk-in-Not-Journalismus alter Zeiten erleiden.

Der Versuch, den das Land jetzt verboten hat, erzählt vieles. Er erzählt von einem gesellschaftlichen und politischen Scheitern, wenn es um Mehrsprachigkeit in der Schule geht – das Verbot einer mehrsprachigen Schule ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Und er zeigt, wie brüchig das Versprechen ist, das die italienische (und die Südtiroler) Schule Kindern und Eltern gibt: Wir bieten allen die gleichen Chancen, bilden keine Sonderklassen, schließen niemanden aus. Eine Klasse, in der nur Kinder sitzen, die mit sechs Jahren nicht oder kaum Deutsch sprechen, wäre ein klares Zeichen an die anderen Schüler:innen und an sie selbst gewesen: Ihr seid anders, ihr genügt unseren Ansprüchen nicht.

Zum Glück ist Südtirol Italien. Eines der Prinzipien der Schule ist die Inklusion. Die Bildung von Sonderklassen ist ein Gesetzesverstoß. Die Gewaltigen in der Bildungsdirektion haben das, nach einigem Zögern, verstanden.

Die Schule in Südtirol ist vielfältig geworden. In Bozen, Meran und im Unterland treffen Kinder aus verschiedenen Kulturen aufeinander, aber die Unterschiede machen nicht die Kinder – sie kommen damit zurecht –, sondern die -Erwachsenen. Mit der Diversität, die gar nicht mehr so neu ist, umzugehen, ist bestimmt nicht leicht. Zu wenig Ressourcen, die Ideologie von einer einförmigen Gesellschaft, institutionelle und individuelle Trägheit – und vielleicht auch der elitäre Gedanke, dass es Kindern besser geht, wenn man gute und schlechte Schüler trennt. Kinder lernen gemeinsam und voneinander. Warum nutzen Schulen dieses Potenzial nicht?

Wer Kinder trennt – in -vielen Fällen Migranten oder Kinder von Migranten –, konditioniert ihre Zukunft und schafft ein Problem für die Gesellschaft. Für die Gesellschaft, die von Migranten fordert, sich zu integrieren, unsere Grundwerte zu respektieren. Ausgrenzung hinterlässt eine Verletzung, an die sich die Betroffenen erinnern werden, bewusst oder unbewusst.

Der Fall in der Goethe-Schule zeigt auch deutlich, dass die SVP sich in allem uneinig ist. Die Volkstumsfraktion applaudierte dem „Schulversuch“, die Bozner SVP sieht sowieso immer das Deutschtum untergehen, das freilich in der Landeshauptstadt die wirtschaftlichen Schlüsselpositionen besetzt. Landesrat Achammer, für die deutsche Schule zuständig, sprach sich dagegen aus, sein Nachfolger als Parteiobmann, Senator Dieter Steger, ein Jurist, der es besser wissen müsste, stellte sich an die Seite der Schule.

Die Ironie der Geschichte ist, dass ausgerechnet Marco Galateo (Fratelli d’Italia), Landesrat für die italienische Schule, Teile der SVP und die Goethe-Schule an das Recht auf Inklusion erinnern musste.

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