Leitartikel

Das Recht und die Rechten

Aus ff 44 vom Donnerstag, den 31. Oktober 2024

 

Die rechte Regierung in Rom drangsaliert die Justiz. Sie will sie gefügig machen. Das ist ein Schaden für die Demokratie. Und die SVP schaut zu.

Dass die Justiz eine der Säulen der Demokratie ist, lernt man in der Schule. Hoffentlich. Ohne ein funktionierendes Gerichtswesen keine Sicherheit. Und keine Freiheit. Ohne unabhängige Justiz gäbe es niemanden mehr, der etwa Presse- und Meinungsfreiheit schützen würde – es hätte keinen Sinn, sie bei einem Gericht einzuklagen, Unternehmer wären der Willkür der Verwaltung ausgeliefert und Kriminelle könnten viele Dinge unter der Hand regeln.

Die Justiz hat in Italien einen schlechten Ruf, weil sie zu langsam arbeitet. Verfahren dauern lang, die Rechtsordnung lässt es zu, dass Verfahren hinausgezögert werden, bis der eigentliche Grund des Prozesses in der Vergangenheit verschwimmt. Das kostet viel Zeit und Geld und Menschen leben derweil in einem Zwischenraum, weil sie nicht wissen, woran sie sind.

Aber immer wieder haben Staatsanwältinnen oder Richter mutig und ohne Ansehen der Person ermittelt oder Recht gesprochen. Man denke nur an die Mafia-Prozesse, die Verfahren wegen Korruption oder die Ermittlungen gegen Silvio Berlusconi. Auch in Südtirol haben sie sich oft nicht von denen da oben einschüchtern lassen.

In Italien wird die Arbeit der Justiz immer wieder infrage gestellt. Die Regierung unter Giorgia Meloni diffamiert Richterinnen und Staatsanwälte; derzeit versucht sie, ihr ein Stück Unabhängigkeit zu nehmen. In Italien sind die Staatsanwälte unabhängig von der Politik, das wollen Lega, Fratelli d’Italia und Forza Italia ändern. Die Regierung greift gerade ein Gericht in Rom heftig an. Sie will Geflüchtete in Lagern in Albanien unterbringen, dort ihr Asylgesuch prüfen und sie bei negativem Bescheid sofort abschieben. Dafür gibt es eine Liste mit sicheren Herkunftsländern. Das Gericht hat diese Liste verworfen. Die Regierung besserte mit einer neuen nach.

Die Dialektik, die Reibung zwischen Politik und Justiz ist normal. Nicht normal ist, dass ein Justizminister diese Entscheidung als „abnormal“ bezeichnet. Politiker dürfen selbstverständlich gegen Entscheidungen in die nächste Instanz gehen, aber was sie nicht dürfen: ein Gericht diffamieren. In Italien ist es seit der Ära Berlusconi üblich, dass unliebsame Richter und Staatsanwältinnen als „Toghe rosse“ verunglimpft werden, als politisch voreingenommen.

Wenn die Politik die Justiz schwächt, stärkt sie nicht sich selbst, sondern untergräbt die Demokratie. Staatsmänner, wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, haben es vorgemacht. Aus einer liberalen Demokratie ist in Ungarn eine illiberale geworden, auch durch die Unterwerfung der Justiz unter die Regierung. Ähnlich war es in Polen – und es ist für die neue Regierung nicht so leicht, das zu ändern. Gleiches versucht jetzt die rechte Macht in Italien. Wo Rechte regieren, ist stets die unabhängige Justiz neben den unabhängigen Medien eines der Angriffsziele.

Und was tun die SVP und ihre Vertreter in Rom? Nichts, sie laufen der Regierung hinterher. Schließlich geht es ihr ja nicht darum, die Verfassung zu schützen oder die unabhängige Justiz, sondern immer nur um das kleine Südtirol.

Wie reduziert doch diese Perspektive ist. Um eines kleinen Vorteils willen setzen wir aufs Spiel, was uns schützt: die Justiz, die Demokratie.

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