Leitartikel

Der Advent ist jetzt sehr laut

Christkindlmärkte bringen der Wirtschaft wichtige Einnahmen. Dafür braucht es eine Balance, ein Maß, mit dem auch die Menschen hier leben können.

Die relative Ruhe in Südtirol dauert immer gut drei Wochen, sobald Allerheiligen vorbei ist. Dann leert sich das Land, die Gäste sind weg. Doch die Vorzeichen für den nächsten Ansturm sind die Aufbauarbeiten der Weihnachtsmärkte. In Bozen eröffnet er am 28. November, in Meran am 29. Und so weiter.

In Bozen reihen sich schon die Stände aneinander wie eine Armee, alle im gleichen Dunkelbraun. Walther von der Vogelweide schaut herab, wie sie aufgebaut werden. Er sieht, wie die Stände den Platz besetzen, lange bevor das große Verkaufen beginnt. Das heißt, der zentrale Platz der Stadt ist für die Bürgerinnen und Bürger zwei Monate im Jahr gesperrt. Für die Menschen, die in der Stadt leben, ist der Platz eine No-Go-Zone, besonders am Wochenende.

Ist das richtig, dass öffentlicher Raum von einigen wenigen besetzt werden darf, um daraus Profit zu schlagen?

Ja, Weihnachtsmärkte sind eine geniale Erfindung, sie bringen viel Geld, wichtig für die Wirtschaft. Wer dort etwa teuren Glühwein und andere alkoholische Getränke verkauft, hat für den Rest des Jahres ausgesorgt.

Widerstand gegen die Benutzung der Stadt? Zwecklos. Sie wäre freilich ein perfekter Anlass für den Protest gegen den Tourismus, der noch Angelegenheit einer kleinen Gruppe ist (siehe Titelgeschichte in diesem Heft über den Protest in der Provinz).

Christkindlmärkte sind das Hochamt des Kommerz. Perfekt inszeniert erwecken sie den Anschein von etwas Heimeligem, wecken geschickt Emotionen, machen den Eindruck, hier würde man noch etwas Echtes finden. Es ist die (gelungene) Inszenierung von Authentizität – der zeitgenössische Tourismus ist oft die Vortäuschung von Authentizität. Die Leute, die das machen, wissen, was sie tun, sie haben das zur Perfektion entwickelt. Im Warenpreis ist das meistens eingerechnet.

Christkindlmärkte haben wenig mit dem Christkind, also mit Religion, zu tun. Die Religion hat in unserer Zeit wenig zu melden, da mag die katholische Kirche noch so oft darauf hinweisen, dass der Advent eine Zeit des Innehaltens ist. Dabei hätten wir es dringend nötig, als Einzelne und als Gesellschaft, auf die Bremse zu treten. Wenigstens für eine gewisse Zeit unser Leben zu entschleunigen.

Stellen wir uns einmal ein Leben ohne Christkindlmärkte vor, ohne die Hunderttausende an Menschen, die sich durch die Städte drängen, sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln ballen, ohne die Hunderte von Bussen und Tausende von Autos, die die Straßen verstopfen. Gäbe es die Märkte nicht, würde das am Leben der meisten Menschen im Lande wenig ändern – sie wissen, wo es sonst einen Glühwein gibt, wo sie sich die Weihnachtsgeschenke besorgen können. Aber ganz so einfach ist es nicht: Die Märkte bringen für die Geschäftsleute wichtige Einnahmen – und damit Steuern für die öffentlichen Haushalte. Sie bringen Wohlstand. Man muss es deutlich aussprechen: Den Kommerz zurückzufahren, bedeutet Verzicht.

Kann es so weitergehen, so laut, so massiv, so lang, mit so vielen Menschen? Nein, es muss eine Balance geben, ein Maß. Ein Maß, mit dem auch die Menschen zurechtkommen können, die hier leben.

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