Leitartikel

Und führe uns in Versuchung

 

Die Ermittlungen gegen Benko, Hager & Co.: Was sagen Sie uns? Südtirol hat wenig Antikörper gegen die Versuchungen von Macht und Reichtum.

Südtirol, angeblich ein Vorzeigeland, produziert zuverlässig Skandale. In Kalabrien, so erzählt mir ein Bekannter, der dort noch Familie hat, sagen sie jetzt: Die sind so wie wir.

Es waren einmal: der Sel-Skandal mit den manipulierten Unterlagen zur Vergabe der Kraftwerks-Konzessionen – verwickelt darin ein Landesrat und der Direktor der Landesenergiegesellschaft; die SAD-Affäre um die Vergabe der Konzession für die öffentlichen Busdienste – die Abhörprotokolle zeigten, wie Politiker, ehemalige und amtierende, 2018 versuchten, die Bildung der Landesregierung zu manipulieren; die Geschichte mit der Lieferung von Schutzmasken in der Pandemie, abgewickelt von einem kleinen Kreis von Leuten, die nicht hören wollen, dass die Masken mangelhaft sind.

Und jetzt die Mega-Ermittlung über die Geschäfte von René Benko und Heinz Peter Hager (der Benko bis zuletzt für einen fähigen Geschäftsmann hielt) und deren Geschäftspartnern. Die Vorwürfe sind heftig (siehe Titelgeschichte ab Seite 16): Bildung einer mafiösen kriminellen Vereinigung, um die eigenen Geschäfte möglich zu machen, zu fördern, zu beschleunigen. In Südtirol betreffen die Ermittlungen das neue Einkaufszentrum in Bozen (inzwischen im Eigentum der Schöller-Gruppe) und den Wohnkomplex Gries Village (Benko & Hager). Südlich von Salurn sind große Immobilienprojekte in Verona, Pavia oder Riva del Garda betroffen – der Wirtschaftsberater Heinz Peter Hager lebt seinen Expansionsdrang längst jenseits des Landes aus.

Es ist eine lange Skandal-Liste für ein kleines Land, das so viel auf sich hält, von sich behauptet, besser zu sein als andere.

Die Ermittlungen der Antimafia-Staatsanwaltschaft in Trient sind noch nicht abgeschlossen. Das Verfahren wird lange dauern, es betrifft 77 Personen: Was haben sie miteinander zu tun, inwiefern sind sie Teil des „sodalizio“, wie die von der Staatsanwaltschaft angenommene kriminelle Vereinigung genannt wird? Wie haltbar ist dieses Konstrukt? Was ist strafrechtlich relevant?

Die Ermittlung ist die eine Seite dieser Geschichte, die andere ist das Bild, das sich daraus ergibt: das Sittenbild (in Südtirol und im Trentino) einer Gesellschaft, in der ein paar Leute die Fäden ziehen. Und in der die Wirtschaft Vorfahrt hat. Man denke nur an die Anfänge des Einkaufszentrums in Bozen, als es Heinz Peter Hager gelang, die öffentliche Meinung (und in Teilen auch die veröffentlichte) auf seine Seite zu ziehen.

In diesem Netz braucht es Politiker und Verwalter (und Journalisten), die willig sind, sich umschmeicheln und beeindrucken lassen, glauben, Teil eines großen Projekts zu sein. Natürlich wird da antichambriert, Druck ausgeübt, Eile angemahnt, werden Kontakte gepflegt. Man muss nicht einmal jemanden korrumpieren, es geht auch so, man ist empfänglich für die Aura von Macht und Reichtum.

Südtirol, so erzählt uns diese Geschichte, hat nur schwache Antikörper gegen diejenigen, die Einfluss und Macht suchen und ausspielen. Man kann es sich richten, wenn man Geld und Verbindungen hat, die Türen gehen fast schon automatisch auf.

Die Geschichte wiederholt sich. Das macht die Menschen müde: Wer soll da noch Vertrauen in Wirtschaft und Politik haben?

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