Leitartikel

Die Pflicht zur Distanz

 

Die Ermittlungen im Fall Hager-Benko treffen auch die Medien. Haben sie immer den nötigen Abstand zu Macht und Reichtum gewahrt?

Die Ermittlungen zu Heinz Peter Hager und René Benko stellen auch die Medien vor grundsätzliche Überlegungen. Inwieweit gehören auch sie zum „chronischen Filz“, wie der freie Abgeordnete Andreas Leiter Reber die Vermischungen zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in seiner Rede zum Landeshaushalt nannte?

Tatsächlich muss man sagen, dass im Fall Hager-Benko, wie auch immer die Ermittlungen ausgehen, einige Medien die Abstände nicht gewahrt haben. Es ist nicht leicht, sich dem Charisma mächtiger und reicher Männer zu entziehen, schon gar nicht in diesem engen Land. Du läufst den Leuten, über die du schreibst, ja ständig über den Weg, oft sind sie schnell beim Du, selbst bei Gegenwehr. Und Journalisten haben wie viele Menschen eine Schwäche: Auch sie wollen gemocht werden, auch und besonders von denen, die viel zu sagen haben.

In dieser Ausgabe bringen wir eine Titelgeschichte zum Thema Medien und Macht und ein Interview mit dem Investigativjournalisten Christoph Franceschini über seine Beziehung zu Heinz Peter Hager – ihr Naheverhältnis ist ein Kontinuum im Ermittlungsbericht der Staatsanwaltschaft von Trient im Fall Hager-Benko. Wie nah darf ein Journalist der Macht kommen?

In Südtirol kommt man ihr oft sehr nahe. Aber Macht und Reichtum sind Versuchungen, denen Journalist:innen widerstehen müssen. Es geht hier nicht um Straftaten, sondern um Anziehungskraft und die Macht von Männern (meistens sind es Männer), die sie gewinnbringend einzusetzen versuchen, wie Heinz Peter Hager. Mal charmant, mal anders.

ff hat in den vergangenen Jahren Abstand gehalten. Beleg dafür ist unsere Berichterstattung (so viel Selbstlob muss sein, weil in der Öffentlichkeit immer von „Die Medien“ die Rede ist): Unser Kollege Norbert Dall’Ò hat vor zwei Jahren die Geschäfte von Hager in Oberitalien aufgedeckt. Beleg dafür ist auch unsere Berichterstattung 2022 über die Spenden an die SVP anlässlich der Landtagswahlen 2018. Hager, einer der Spender, war erbost. Wir wurden beschuldigt, Teil eines Komplotts zu sein. Wir fanden: Diese Liste gehört an die Öffentlichkeit, egal, wer darin auftaucht und wen sie betrifft.

Wir behandeln alle gleich: Das ist unser Motto. Äquidistanz ist die Grundlage journalistischer Arbeit, neben Unabhängigkeit und der Pflicht, beide Seiten zu hören. Auch wenn es manchmal für die Geschichte besser wäre, nur eine Seite zu hören: Dann kann die These steiler sein, die Story knackiger.

Journalisten haben keine Mission. Die Devise kann nicht sein: Die einen sind immer gut, die anderen immer böse – und entsprechend fällt dann die Berichterstattung aus. Warum sollten wir den einen Machtblock kritisieren und den anderen verschonen?

Wie lässt sich kritischer Journalismus in Südtirol machen, haben wir für die Titelgeschichte in diesem Heft unter anderem auch Hans Karl Peterlini, den ehemaligen Chefredakteur der ff, gefragt. Er schreibt: „Es erfordert die Bereitschaft, unbeliebt zu bleiben, nicht dazuzugehören, sich herauszuhalten, Freundschaften auch zu enttäuschen – das ist nicht leicht und auch nicht zu 100 Prozent möglich, aber trotzdem nötig.“

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