Leitartikel

Die Tugend des Kompromisses

 

Erst der Ausgleich der Interessen macht Demokratie möglich. Wer anderes behauptet, ist ein Scharlatan, eine Gefahr für das Gemeinwesen.

Der Kompromiss ist eine Tugend, die die Demokratie dringend braucht. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Scharlatan. Demokratie ist mühsame Aushandlung, notwendig, wenn auch manchmal unerträglich zäh. Wir müssen uns verständigen, irgendwo dazwischen, auch wenn uns Populisten (es gibt sie auch in Südtirol) weismachen, dass sich schnell alles ändern muss. Dass Kompromiss immer mit „faul“ verbunden ist.

Tun wir das nicht mehr, reden, uns verständigen, ist das der Anfang von Konflikten, die nicht mehr zu lösen sind, dann ist das das Ende der Demokratie. Nur ein autoritärer Staat kennt keine Kompromisse, die die Rechte aller wahren, der Mehrheit und der Minderheiten. Auch Minderheiten müssen kompromissfähig sein.

Heute ist die Demokratie durch die Neigung zur Kompromisslosigkeit gefährdet. Denn sie hinterlässt am Ende immer einige wenige Gewinner und viele Verlierer. Es schaut so aus, als würden jetzt Männer, die freilich über demokratische Mehrheiten verfügen, über alle hinwegrollen. Donald Trump, der Präsident der größten Demokratie der Welt, macht es gerade vor. Statt zu reden und nach Gemeinsamkeiten zu suchen, demütigt er Gesprächspartner. Er vereitelt jeden Kompromiss, indem er Bedingungen stellt, die das Gegenüber nie im Leben erfüllen kann (auch wenn der ukrainische Präsident, ehemals Schauspieler, seinen Auftritt in Washington hätte besser proben können).

Aber es war klar, es ging um Provokation, und nicht um Kompromiss, um einen gerechten Ausgleich der Interessen. Es war die Demo eines Mannes, der schamlos und charakterlos und damit erfolgreich ist. Kein Kompromiss heißt oft auch: null Empathie.

Die Kunst des Kompromisses haben uns gerade ÖVP, SPÖ und Neos in Österreich vorgeführt. Sie haben sie erst wieder lernen müssen, nachdem ihre erste Kompromisssuche kläglich gescheitert war und nachdem die FPÖ (das heißt deren kompromissloser Chef Herbert Kickl) die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP hatte scheitern lassen. Kickl ist ja auch einer, der Provokation besser kann als Kompromiss. Beim zweiten Mal waren Neos, SPÖ und ÖVP großzügiger als beim ersten Versuch.

Jetzt müssen Sie eine Politik machen, die die große Mehrheit der Menschen einschließt, über den politischen Horizont der Koalition hinausweist. Denn auch das muss sich eine Demokratie fragen: Wie gehe ich mit der Opposition um? Wie gehe ich mit einem starken politischen Gegner um? Andererseits: Eine Demokratie ist nicht verpflichtet, diejenigen zu stärken, die diese Demokratie abschaffen wollen.

Demokratie ist manchmal sehr langweilig, endlose Debatten, viel Papier, Versprechen, die zu groß geraten sind, kurzatmig. Aber sie ist gleichzeitig etwas Großartiges, sie garantiert unsere Freiheit, unser Leben, unsere Würde.

Das geht nur, wenn es Kompromisse gibt, wenn alle einen Teil ihrer Interessen opfern, ihre Freiheit im Sinne der Sicherheit der anderen einschränken, mehr Steuern bezahlen, weil ihr Einkommen oder ihr Vermögen größer ist.

Kompromiss ist das Überlebensmittel der Demokratie, das Gegengift gegen jede autoritäre Versuchung.

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