Leitartikel

Der Mann, der vieles begann

 

Papst Franziskus wollte die Kirche von Grund auf reformieren. Aber er ist dabei auf halbem Weg stehen geblieben.

Als der Jesuit aus Argentinien Papst wurde, sah man ihn als Veränderer, als jemand, der die Kurie in Rom knacken würde. Die Kurie, die sich in der Geschwindigkeit einer Schnecke bewegt, sehr machtbewusst ist. Die sich an das klammert, was schon immer so gewesen ist. Keine Ehe für Priester, keine Frau als Päpstin, kein Sex vor der Ehe, keine Kommunion für Homosexuelle.

Die Gesellschaft, die Leute da draußen, sehen das anders. Und wenn sie es nicht mehr ertragen, wenden sie der Kirche den Rücken zu. Nur bei Zeremonien, die die katholische Kirche so gut kann, ist das Haus Gottes voll. Das hat sich auch unter Franziskus nicht geändert.

Jorge Mario Bergoglio, 88, der sich als Jesuit nicht Ignatius – nach dem Gründer der Jesuiten –, sondern Franziskus nannte, wollte Veränderung. Er reiste dorthin, wo Krieg und Armut herrschen – und zwang Journalistinnen und Journalisten mitzureisen, mitzuschauen und mitzuberichten.

Wenn es um den Kapitalismus ging, war dieser Papst revolutionär. Er sah die Armut, er lebte selbst nicht im Luxus, nicht im Palast, er mochte den Prunk nicht, er mischte sich gerne unter die Leute. Als er gewählt worden war, begrüßte er die Menschen unten auf dem Petersplatz mit „Buona sera“. Er lebte in der Radikalität des Evangeliums – im Unterschied zu vielen anderen kirchlichen Würdenträgern.

„Kapitalismus tötet“, sagte Franziskus einmal. Das war einer der Sprüche des Papstes, die nicht weiterhalfen, die, so gesagt, bleiben müssen, was sie sind, Worte, ein Sager – der immer wieder gerne zitiert wird. Aber abgesehen davon, dass er manchmal seine Sätze nicht mehr einfangen konnte, hat er die Menschen gewonnen. Nicht unbedingt den Vatikan, seine Kollegen, die jetzt schon längst begonnen haben, um die Nachfolge zu kämpfen.

Kürzlich ist in Rom ein sogenannter „synodaler Prozess“ zu Ende gegangen, eine kirchliche Zusammenkunft von Menschen aus Italien, die ernsthaft die katholische Kirche verändern wollen. Am Ende war das Schlusspapier so verwässert, dass man ohne Ergebnis auseinanderging.

Es geht immer wieder um die gleichen Dinge, bei denen auch Franziskus in den zwölf Jahren seiner Amtszeit kaum weitergekommen ist: Können die Priester selbst bestimmen, wie sie ihre Sexualität leben, was für eine Rolle haben die Frauen in der Kirche, wie geht man mit Homosexualität um, wie weit darf die Mitsprache der Laien (immerhin 1,4 Milliarden) gehen, wird die Kirche eine Demokratie oder bleibt sie ein autoritäres Regime, in dem nur einer bestimmt?

Diese Fragen wird ein anderer Papst beantworten müssen. Er wird es, wenn er reformwillig ist, ebenso schwer haben wie Franziskus. Die katholische Kirche ist tief gespalten. Franziskus hat viel angestoßen, wenig vollendet.

Er war schwach geworden, er konnte in seinen letzten Tagen kaum mehr die Stimme erheben. Er tat es ja immer unerschrocken, laut, etwa zu Krieg und Migration.

Das wird bleiben von ihm, dieser unbedingte Friedenswille, die Bereitschaft, „Fremde“ als Geschwister zu betrachten, die Umarmung der Armen. Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass die Mächtigen kaum auf den Papst gehört haben, auch wenn sie sich gerne mit ihm sehen ließen.

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