Panorama

Bye, bye, Britain

Aus ff 05 vom Donnerstag, den 30. Januar 2020

Brexit
„Macht es gut!“ Im niederländischen Wijk aan Zee verabschieden sich die Bewohner von den Briten mit einem Winken übers Meer. © Brexit aan Zee/Facebook
 

Brexit: (Katharina von Tschurtschenthaler) Im niederländischen Örtchen Wijk aan Zee haben die Bewohner ihre eigene Methode, den Briten „bye bye“ zu sagen – sie feiern eine riesige Strandparty, „Brexit aan Zee“ nennen sie das Spektakel. Geplant sind Konzerte, ein Picknick und Winken übers Meer. Tausende Gäste haben sich angekündigt.

In Brüssel indes setzt zum Abschied kaum einer einen Partyhut auf. Die britischen Flaggen wandern direkt ins EU-Museum, und David Sassoli, der Parlaments-Präsident verabschiedet die 73 Abgeordneten von der Insel in kleinem Rahmen. Ohne Fernsehkameras, dafür mit den Parlamentariern, die für den Brexit gestimmt haben, und jenen, die für einen Verbleib in der EU votiert haben. Da könnte es heiß hergehen – ein Abgeordneter hat vorgeschlagen, zusätzliche Sicherheitskräfte für die Veranstaltung bereitzustellen – falls es zwischen den „verfeindeten“ Politikern zu einem Handgemenge kommen sollte. Einer der wenigen, die wohl wirklich die Korken knallen lässt, ist Nigel Farage. Der Gründer der Brexit-Partei hat sich im EU-Parlament dadurch ausgezeichnet, dass er bei Sitzungen lautstark und jahrelang gegen die EU gestänkert hat.

Wir Normalbürger werden erst mal kaum mitkriegen, dass unsere Union auf 27 Mitglieder geschrumpft ist. Nach wie vor können wir mit unserem Reisepass auf die Insel reisen, dank der Roaming-Verordnung wird Telefonieren mit dem Handy nicht teurer, und auch die Fluggastrecht-Verordnung bleibt erst mal bestehen. Erst mal. Spannend wird es im kommenden Jahr. Dann läuft die Galgenfrist ab. Was danach passiert, ist noch völlig offen und wird in Brüssel noch vielen Menschen Überstunden bescheren. Bis zum Jahresende müssen Tausende Verträge ausgehandelt werden – etwa den Handel betreffend. Unklar ist auch, wie es mit der Zollunion und dem Binnenmarkt weitergeht.

Wenn es ganz blöd läuft, und in den nächsten Monaten kein Freihandelsabkommen geschlossen wird, ist Großbritannien ab 2021 ein Drittstaat wie etwa China oder die Türkei – Waren müssen ver-zollt werden, und streng genommen bräuchten wir für die Einreise ein Visum. Die nächsten Monate werden also ein politisches Tauziehen, bei dem beide Scheidungspartner versuchen, den besten Deal für sich herauszuholen. Gerade eher unwichtig erscheinende Punkte drohen für den Super-GAU zu sorgen, die Fischerei etwa. Obwohl „nur“ 178.000 Menschen in der EU im Fisch-Business arbeiten, 0,03 Prozent der Gesamtbevölkerung, könnte sich am Fisch ein regelrechter Rosenkrieg entfachen. Denn fast die Hälfte des Meeresgetiers, das auf unserem Teller landet, wird aus britischen Gewässern geangelt. Bekommen jetzt etwa die norddeutschen Hochseefischer keine Lizenz mehr, um mit ihren Kuttern durch britisches Wasser zu tuckern, könnten unsere Supermarkt-regale leerer werden. Umgekehrt hat die EU klargemacht: Machen die Briten ihre Gewässer dicht, dürfen sie ihren Fisch nicht mehr auf dem Kontinent verkaufen.

Der Brexit gebärt aber auch Gewinner – der Finanzstandort Frankfurt profitiert davon, dass London sich ins europäische Abseits geschossen hat. Im deutschen Nord-rhein-Westfalen haben sich in den vergangenen drei Jahren mehr als 100 Unternehmen von der Insel niedergelassen, ähnlich sieht es in den Niederlanden aus. Und auch im politischen Brüssel ziehen Sieger ein. Die 73 britischen EU-Abgeordneten müssen ihre Kisten packen und Platz machen für die Nachrücker.

Miriam Lexmann aus der Slowakei ist eine von ihnen, die in Bratislava ausharrte, bis der Brexit endlich vollzogen ist. Gestern erreicht mich eine SMS von ihr. „Es sieht so aus, als wäre ich bald in Brüssel“, schreibt sie. Für die Abgeordnete ist es ein Sieg mit bitterem Nachgeschmack – sie war und ist nach wie vor gegen den Brexit. Und was die Brexit-Strandparty betrifft: Die findet erst Ende Februar statt – also einen Monat nach dem Austritt. Woran das liegt, ist nicht überliefert. Vielleicht können es die Organisatoren doch nicht so richtig glauben, dass Großbritannien uns wirklich verlässt.

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