Panorama

Lidia widerstand

Aus ff 50 vom Donnerstag, den 10. Dezember 2020

Menapace
„Ironie und Selbstironie sind das Salz des Lebens, es tut gut über sich selbst zu lachen“: Lidia Menapace in ihrer Wohnung in Bozen, am Balkon das Symbol des Widerstands, die Regenbogenfahne. © Foto: Alexander Alber
 

Nachruf auf Lidia Menapace (1924-2020): (gm) Als die „Sardinen“ unter dem Fenster ihrer Wohnung am Mazziniplatz in Bozen demonstrierten, ging sie hinunter und demonstrierte mit. Vielleicht sah sie die Gelegenheit eine „Wende herbeizuführen, die unumkehrbar ist.“ Das war im Dezember 2019.

Die „unumkehrbare Wende“ nannte sie Revolution. Lidia Menapace getraute sich, das Wort in den Mund zu nehmen. Die Revolution kam natürlich nicht. Die „Sardinen“ erwiesen sich bloß als eine der vielen volatilen Protestbewegungen in Italien.

Aber Lidia Menapace, die im Alter von 96 Jahren an den Folgen von Covid-19 gestorben ist, hat deswegen bestimmt nicht aufgehört zu glauben, dass man die Welt verändern kann. Eine Welt, an der sie der „fehlende moralische Enthusiasmus“ und die „Gleichgültigkeit“ besonders schmerzten. Gegenüber ff hat sie sich so beschrieben: „Ich bin mit 19 zu den Partisanen, ich bin ehemalige Lehrerin, Landesrätin, Senatorin, aber keine ehemalige Partisanin. Ich bin immer noch Partisanin.“ „Seit 1943 im Widerstand“ stand auf einem Plakat, als sie mit Rifondazione comunista für die Parlamentswahlen kandidierte.

Novara 1924. In der östlichsten Provinz des Piemont wird Lidia Menapace geboren. Als junges Mädchen schließt sie sich 1943 dem Widerstand gegen den Faschismus an. Sie ist 19 Jahre alt. Eine Waffe trägt sie nie – sie versteht sich als pazifistische Partisanin. Menapace, 153 Zentimeter groß, transportiert mit dem Fahrrad Sprengstoff für die Partisanen. Sie hat sich ihn um den Bauch geschnallt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg studiert sie Literaturwissenschaften an der „Cattolica“ in Mailand. 1952 heiratet sie den Arzt Nene Menapace. Wegen ihm zieht sie nach Bozen, sesshaft wird sie trotzdem nicht: „Ich war immer eine Vagabundin.“ Sie ist die erste Frau im Bozner Gemeinderat, die erste Landesrätin (1964-1968 für die verblichene Democrazia Cristiana). Doch ihre politische Gesinnung dreht sich langsam nach links. 1968 fliegt sie von der Uni, als sie Marx verteidigt, 1972 gründet sie die linke Tageszeitung Il manifesto mit, sie wird eine der Stimmen der italienischen Frauenbewegung, 2006 wird sie für Rifondazione Comunista in den Senat gewählt.

Das letzte Mal, vor zwei Jahren, empfing sie uns inmitten ihrer Bücher und den Familienfotos, Stapel von Büchern auf dem Boden, einen piemontesischen Rotwein auf dem Esstisch. Auf dem Tisch liegt auch ihr Buch „Che fare“, angelehnt an „Was tun“?, den Klassiker von Lenin. Sie erzählt von ihrer Mutter, die ihr beigebracht hat nur sich selber zu gehören, von ihrem Vorbild Rosa Luxemburg, von einem undogmatischen Sozialismus – der „via alcolica al socialismo“. In ihren Sätzen lag viel Klugheit, aber auch Ironie, die ins Sarkastische überging, wenn sie über politische Gegner wie Berlusconi oder Salvini sprach. Es war eine Ironie, die sie auch gegen sich selber wenden konnte. Etwa, wenn sie sagte: „Wenn mein Kopf und eine Wand aufeinanderprallen, hat womöglich die Wand den Schaden.“

„Ich lebe gerne,“ sagte sie damals, „man müsste mich ohrfeigen, würde ich mich über mein Leben beklagen.“

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