Politik

Die Wunde von Mals

Aus ff 36 vom Donnerstag, den 07. September 2017

Alexander ­Schiebel
Filmemacher Alexander ­Schiebel bei ­einem Rundgang durch seine Wahl­heimat: „Unter den Malsern habe ich mich als den Mächtigsten bezeichnet.“ © Alexander Alber
 

Noch drei Jahre nach der Pestizid-Abstimmung löst das „Wunder von Mals“ eine giftige Debatte aus. Eine Handvoll Männer treiben die Politik zur Weißglut. Was sie im Schilde führen.

Durch seine Glaskugel hat Alexander Schiebel einen klaren Blick. Er sieht darin nicht nur die Zukunft – sondern auch, ob sich seine Träume erfüllen. Ab 2018, das verrät der in Mals wohnende Filmemacher in seinem neu erschienenen Buch „Das Wunder von Mals“, werden Pestizid-Gegner in ganz Europa eine Revolution lostreten.
Die Südtiroler Landesregierung, schreibt­ ­Schiebel, werde den „Ausstieg aus der Pestizidwirtschaft binnen einer Zehnjahresfrist“ verkünden. Mehr als 50 Gemeinden werden in ihren Kindergärten und Krankenhäusern „bevorzugt regionale Produkte aus biologischer Produktion“ auftischen. Und weitere 15 Gemeinden werden die Pestizidfreiheit entweder beschließen oder eigene Volksabstimmungen abhalten.
„Wie gesagt“, so Schiebel, dessen Werk ein „Millionenpublikum“ erreichen soll, „die Geschichte geht gut aus.“ Zumindest ist sie gut
geschrieben.
Vor wenigen Tagen waren Studenten aus Hamburg bei ihm, um für eine Hausarbeit zum Thema­ Mals zu recherchieren. Dabei legten sie eine Liste mit den zehn wichtigsten Malser Protagonisten vor, er möge sie doch nach Bedeutung ordnen. Schiebel zögerte nicht lange: „Unter den Malsern habe ich mich als den Mächtigsten bezeichnet.“
Noch muss sich der Regisseur allerdings mit einem kleineren Publikum begnügen. An einem warmen Montagvormittag steht er in den Gassen von Mals, dem „sonnigsten Dorf ­Südtirols“, wie es in der Eigenwerbung heißt – und macht Propaganda für sein ganz persönliches Public Viewing.
„Kommt ihr heute Abend?“, fragt Schiebel den Antipestizidaktivisten Koen Hertoge, der in­ ­lockerem Trainingsanzug durch das Dorf schlendert. „Mal schauen, ich bin müde“, sagt ­seine Frau ­Martina Hellrigl, auch sie als Mitbegründerin der Initiativgruppe „Hollawint“ eine der Protagonistinnen des „Wunders von Mals“.
Die Doku, die der Filmemacher an diesem Abend in seinem Wohnzimmer zur Uraufführung bringt, wird am 21. September im deutsch-französischen Sender Arte zu sehen sein. Sie stellt den vorläufigen medialen Höhepunkt einer Diskussion dar, die das Land in den vergangenen Jahren erschütterte. Für Alexander Schiebel aber bedeutet sie nach vier Jahren konzentrierter Arbeit das vorläufige Ende seines 24-Stunden-Engagements.
Der gebürtige Salzburger, der vor rund vier Jahren nach Südtirol gezogen ist, will sich demnächst „anderen Themen widmen“, sagt er, er wolle „die Südtiroler jetzt einmal vom Haken lassen“.
Davor aber hat er seiner Wahlheimat noch einmal ein Denkmal gesetzt. Oder besser: gleich mehrere.

Im Rückblick wird 2017 als das seit Langem ­öffentlichkeitswirksamste Jahr für die Südtiroler­ Umweltbewegung in die Geschichte eingehen. Zwischen München und Mals halten geschickt platzierte Aktionen das Land auf Trab und bringen sowohl Bauernbund als auch Landesregierung in eine fortwährende Verteidigungsposition.
Eine unvollständige Aufzählung: Im März dieses Jahres bombardieren knapp 20.000 E-Mail-Accounts das Postfach des Landeshauptmanns, im April säumen im Rahmen eines „Aktionstags“ Tausend bunte Fähnchen die Straßen von Mals, im Sommer füllt eine Münchner Plakataktion die Schlagzeilen, während wenig später ein Tross von 30 Radfahrern mit weißer Schutzkleidung durch das Etschtal brettert. Film(e) und Buch erscheinen in diesen Tagen.
Und dann wäre noch die Pestizid-Aktion auf den Bozner Talferwiesen. Unbekannte hatten in großen Buchstaben „Glyphosat“ ins Gras gebrannt. „Mit dieser Aktion hatte ich nichts zu tun“, sagt Schiebel, „leider. Ich wäre gern dabei gewesen, ich fand das lustig.“
Hinter dem Rest der PR-Offensive steckt, und hier wird der Rückblick richtig interessant, nicht nur Schiebel selbst. Auftraggeber war zumindest indirekt auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk.
In seinem Buch (siehe Rezension auf Seite 26) beschreibt der Autor detailliert, wie der dazugehörige Dokumentarfilm in die engere Auswahl der Arte-Mannschaft gelangte.
Mitte Dezember findet Schiebel in seinem ­E-Mail-Postfach ein Schreiben aus Köln. Absender: Co-Regisseur Ralph Weihemann, der für Schiebel Kontakt mit den deutschen Redaktionen aufgenommen hat.
„Die Kopfredaktion von Arte“, schreibt Weihemann in besagter Mail, „hat uns zusammen mit einem anderen Projekt des WDR in die ­engere Auswahl genommen. Nur sei ihnen nicht ganz klar, welche Aktionen wir im Frühjahr und Sommer in Mals beobachten können.“ Die Reaktion von Schiebel: „Mist! Das weiß ich ja selbst nicht!“
Schiebel also macht sich fieberhaft an die Arbeit, spricht als Aktivist mit Aktivisten und erstellt eine Liste von Aktionen, die sich möglicherweise filmisch verwerten lassen.
„Ich will“, schreibt der Regisseur, „dass dieser Film im September auf Arte läuft“, denn: „Eine so gewaltige Reichweite wäre ein Geschenk des Himmels für meine Strategie des ,Umwegs über Deutschland‘.“
Der sogenannte Umweg über Deutschland ist für Schiebel die aktive Verbreitung des „Pestizidtirol“-Images. Er selbst hatte die Verballhornung der Südtirol-Dachmarke 2015 im Netz verbreitetet – und die Landesvermarkter der damaligen SMG gegen ihren Mitarbeiter aufgebracht. „Sie spucken in den Suppentopf, aus dem Sie essen“, warf eine SMG-Vertreterin Schiebel an den Kopf. Am Ende des Konflikts sollte er nie mehr wieder einen Auftrag des Landes bekommen, alle bestehenden Projekte wurden ihm entzogen.
Stattdessen nun der „Masterplan“: „Die Urlaubsgäste müssen begreifen, wie vergiftet ihr Paradies ist“, beschreibt Schiebel seinen „Umweg über Deutschland“. Der dafür nötige Weichensteller trägt den Namen Karl Bär.

Das Büro des Umweltinstituts befindet sich in einem unscheinbaren Reihenhaus im Münchner Stadtteil Schwanthaler Höhe. Hier, einen Stock über dem „Happy Honey Kidsclub“ hat der private Verein, der sich seit über 30 Jahren für den Naturschutz in Bayern, Deutschland und Europa einsetzt, seinen Sitz.
Karl Bär öffnet in Polo-Shirt und kurzen Hosen die Tür, noch erschweren die heißen Temperaturen das Arbeiten. Auch der laute Baustellenlärm trägt nicht gerade zur Arbeitsmoral bei.
Als Agrar- und Handelsreferent des Umwelt­instituts orchestrierte Bär die kontroverse Pestizidtirol-Aktion in der Münchner U-Bahn-­Station Karlsplatz. Eine Parodie auf die Kampagne „Südtirol sucht ...“, die er gemeinsam mit Alexander Schiebel auskopfte. Nur die Aufmerksamkeit, die das Plakat in Südtirol auf sich zog, ist ihm im Nachhinein nicht ganz geheuer.
„Ich bin fasziniert davon, wie sehr sich die Südtiroler Presse darauf eingeschossen hat“, sagt der 32-Jährige, der bereits als „Problembär“ aus den Dolomiten lachte.
Karl Bär muss es wissen, in den vergangenen Jahren beherrschte sein Einsatz gegen das Freihandelsabkommen TTIP und Atomkraftwerke das öffentliche Bild des Umweltinstituts. Besonders die TTIP-Debatte wurde zu großen Teilen vom Engagement der Münchner bestimmt.
Der Widerstand zahlte sich aus: Ein Freihandelsabkommen mit den USA wird es bis auf Weiteres nicht geben. Karl Bär hat endlich wieder Zeit für anderes. Zeit für Mals, zum Beispiel.
Ähnlich wie sein Kollege aus Salzburg kam auch Karl Bär erst spät mit den „Vinschger Rebellen“ in Kontakt. Als die Volksabstimmung bereits geschlagen war, machte ihn eine Praktikantin auf das „Wunder von Mals“ aufmerksam.
Karl Bär, Teil eines 19-köpfigen Teams, das im Moment einen Generationenwechsel mitmacht, sprang sofort darauf an – und versprach Alexander Schiebel seine Unterstützung. Für die „jungen Wilden“ im Umweltinstitut war Mals ein besonderer Spielplatz. Und für Bär ein wichtiges Puzzleteil im Bio-Marketing.
Seit der Entscheidung der Malser für eine pestizidfreie Gemeinde tourt der 32-Jährige durch Europa und wirbt für ein Modell, das man sich „nicht kaputtmachen“ lassen dürfe. Im letztjährigen Tätigkeitsbericht des Umweltinstituts heißt es dazu: „Schon die Ankündigung [...], Mals zu unterstützen, löste im Dezember in Südtirol einigen Wirbel aus. Wir werden dieser Ankündigung Taten folgen lassen.“ Ankündigungen, die am Ende in einem handwerklich schlampig gestalteten Plakat mündeten. Das Motiv zeigte ausgerechnet einen Weinbauer, der nach bio­dynamischen Kriterien arbeitet – und das auch im Buch von Alexander Schiebel auf einer Doppelseite ausgebreitet wird. Bildunterschrift: „Vom Beginn der Vegetations­periode bis zur Erntezeit werden die Apfelanlagen in Südtirol mehr als 30-mal in dichte Pestizidnebel gehüllt.“
Von einem „Fehler“ sprechen beide Aktivisten. Was Schiebel aber auch sagt: „Wer mit mir über dieses Bild diskutieren will, soll sich auch die Zeit nehmen, über den Rest des Buches zu sprechen.“
Nicht ganz so viel Toleranz ­brachte man erwartungsgemäß innerhalb der Landesregierung für die Provokation auf. Seit Wochen macht dort ein von Landeshauptmann Arno Kompatscher verfasstes Positionspapier die Runde, das die Umweltschützer scharf angreift.
Darin spricht Kompatscher von einem „peinlichen Fehlgriff“ und konstatiert: „Den Akteuren Alexander Schiebel und Karl Bär, denen jetzt wohl die Tragweite dieser Verleumdung zu schwanen be­ginnt, scheint nun nicht mehr ganz wohl in ihrer Haut zu sein.“ Warum sonst müssten sie öffentlich von „Satire“ sprechen? Sind sie nun Komiker oder Umweltschützer?
Eine Analyse, mit der Karl Bär nur wenig anfangen kann. „Satire“, sagt der studierte Agrarökonom und Islamwissenschaftler, „ist ein legitimes Mittel, um für diese Sache zu kämpfen.“

„Zu lachen gibt es nix“, gibt die Führungsmannschaft der VI.P (Verband der Vinschger Produzenten für Obst und Gemüse) die Richtung des Gesprächs vor. An einem Freitagmorgen Ende August begrüßt sie einen Stargast in der Naturnser Obstgenossenschaft „Texel“.
Der bayerische Landwirtschaftsminister Helmut Brunner besucht seinen Amtskollegen Arnold Schuler in Südtirol – und muss sich erst mal von Bauern bejammern lassen. „Zu lachen gibt es nix“, sagen Obmann und Direktor des Verbands der Vinschger Obstgenossenschaften noch einmal. Die Ernte: unter den Erwartungen. Der Hagel: Schäden wie nie zuvor. Und dann noch das Münchner Umweltinstitut mit seinen Aktionen!
Helmut Brunner nickt verständnisvoll. Dann lässt er sich durch die heiligen Hallen führen, ff darf die Männer-Delegation dabei begleiten.
Von den sterilen Förderbändern und beinahe menschenleeren, bis zum letzten Arbeitsschritt ­automatisierten Apfelfabriken scheinen die Malser Rebellen Lichtjahre entfernt – und doch hat sich der Druck der letzten Wochen tief in die Köpfe der VI.P-Führung eingebrannt.
„Sollen wir die Pestizide nicht doch noch einmal ansprechen?“, flüstert Direktor Josef Wielander an einer Stelle dem Landesrat zu. „Ich mach das schon“, sagt Schuler. Tatsächlich wird er den bayerischen Ministerpräsidenten wenig später über das „Wunder von Mals“ aufklären müssen – und über das Umweltinstitut München. „Brunner kannte diesen Verein nicht einmal“, sagt Schuler.
„Ich kenne diesen Verein“, sagt Helmut Brunner, als er wenige Stunden später auf Schulers Heimathof in Plaus vor die Presse tritt. Dann wiederholt er die Argumente, die ihm der Landesrat eingeflüstert hat: „Jeder Bauer hat selbst das ­größte Interesse daran, sichere Pflanzenschutzmittel zu verwenden“, oder „Jeder soll wissen, welche Interessen hinter diesen Vorwürfen stecken.“
Es ist eine Vorstellung, die vor allem eines zeigt: Die PR-Offensive der Umweltschützer hat Wirkung gezeigt. „Das sind schlechte Botschafter Bayerns“, sagt Brunner über seine Landsmänner. Aber sind sie gute Botschafter für Mals?
„Wahrscheinlich haben sie geglaubt, sie würden uns etwas Gutes tun“, seufzt Ulrich Veith, „aber das haben sie nicht.“ Der Malser Bürgermeister ist in diesen Tagen nicht besonders gut zu sprechen auf seine Unterstützer in München. „Sie hätten uns über die Aktion informieren müssen“, sagt Veith, „uns fragen, ob wir das überhaupt wollen.“ Stattdessen seien sie „eindeutig zu weit gegangen.“
Von einem wie auch immer gearteten Missbrauch seiner Gemeinde würde der Bürgermeister niemals sprechen, aber: Auch ihm ist die Inszenierung der letzten Wochen und Monate offensichtlich unter die Haut gegangen.
Auch deswegen, weil er deutlich weniger optimistisch in die Zukunft blickt als der Filmemacher in seinem Dorf.
2018 sollen die in der Gemeinde geltenden Pestizidverbote angewandt werden, dann ist die zweijährige Schonfrist auch für länger ansässige Obstbauern endgültig vorbei. Ein angekündigter Rekurs hat laut Veith gute Chancen auf Erfolg.
„Vor dem Verwaltungsgericht in Bozen werden wir wahrscheinlich verlieren“, befürchtet der Bürgermeister, „es ist schwer abzuschätzen, welchen Weg wir dann beschreiten werden.“
Zur privaten Filmvorführung bei Andreas Schiebel war Ulrich Veith ebenfalls eingeladen, gekommen ist er nicht – aus Zeitgründen, wie er selbst sagt.

Der Einsatz der Umweltschützer hat sichtbare Spuren hinterlassen. Bei den Pestizidgegnern, bei den Befürwortern, in den Obstwiesen von Mals und in den Talferwiesen in Bozen.
Im Vinschgau könnten Gerichtsurteile diese Spuren wieder verwischen, in der Landeshauptstadt machten es in den letzten Tagen die Stadtgärtner. Vom anklagenden „Glyphosat“-Schriftzug ist nichts übriggeblieben – bis auf eine Untersuchung der Umweltagentur. Die kam in den letzten Tagen zu einem klaren Schluss: „Es wurde Glyphosat verwendet, eindeutig“.

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  • Kampagne ­des Umweltinstituts München Karl Bär Apfelbäume Plakat Buchcover

Sie nannten ihn „Hurensohn“

Karl Bär, Agrarökonom im Umweltinstitut München, über seine Kampagne gegen Südtirols Bauern – und die Drohbotschaften, die sie ihm einbrachte.

ff: Herr Bär, in Südtirol sind Sie zum Inbegriff des bösen Umweltschützers geworden. Wie ist das passiert?

Karl Bär: Zuerst einmal ist der Südtiroler Presse ein Malheur passiert, das ich bisher nicht richtiggestellt habe: Ich bin nicht der Chef des
Umweltinstituts.

Sondern?
Meine offizielle Bezeichnung lautet „Experte für Landwirtschaft und Handel“. Das Umweltinstitut gibt es ja schon ungefähr so lange wie mich, gegründet wurde es kurz nach dem Super-GAU in Tschernobyl – als Antwort auf das große Misstrauen gegenüber staatlichen Behörden. Seit damals messen wir auch selbst Radio­aktivität: Man kann uns Schwammerln schicken, bei denen wir in unserem Gamma-Spektrometer den Cäsium-Gehalt herausfinden.

Deswegen bezeichnen Sie sich als ­„Institut“?
Wir hatten immer schon den Anspruch, selbst nachzuforschen, etwa beim Nitrat im Grundwasser. Derzeit arbeiten wir konkret an zwei Themen: Energie und Landwirtschaft. Bei letzterem legen wir einen Schwerpunkt auf Pestizide.

Hierzulande sorgten Sie mit einem Plakat für Aufruhr, das die „schlechte Luft“ in Südtirol anprangerte. Ihr Landwirtschaftsminister nannte Sie deswegen einen „schlechten Botschafter“ ­Bayerns. Hat er recht?
Von Minister Helmut Brunner habe ich eigentlich ein positives Bild – dafür, dass er ein CSUler ist. Zumindest hat er ein paar Sachen verstanden, die Wichtigkeit kleiner Betriebe zum Beispiel. Aber ich bin mir sicher, dass es auch Südtiroler gibt, die Herrn Kompatscher oder Herrn Schuler nicht für die besten Botschafter ihres Landes halten.

Woher kommt überhaupt Ihr Fokus auf Südtirol?
Ich war in den ersten 16 Jahren meines Lebens mindestens einmal pro Jahr im Schnalstal. Wir schliefen auf einem Hof über Naturns und haben täglich auf ­die Apfelanlagen heruntergeschaut. Damals fand ich das gut, ästhetisch, ­ungeheuer eindrucksvoll. Heute sehe ich ­dieselbe Landschaft mit einem anderen Blick. Auf Mals kamen wir eher durch Zufall. Eine Praktikantin hat mir vor drei
Jahren einen Link zur Volksabstimmung geschickt.

Und?
Wir fanden es richtig spannend, ­ welche Macht in solchen kommunalen Gegenbewegungen steckt. Unser Ziel ist schließlich eine Landschaft, die ganz ohne Pestizide auskommt. Wie erreichen wir das? Indem wir Dörfer finden, die das, was Mals macht, nachmachen.

Sind Sie fündig geworden?
Ich bin noch auf der Suche. In Brandenburg gibt es ein Biosphärenreservat, da kommt etwas voran. Im Ort, wo ich Kommunalpolitik mache, haben wir gemeinsam mit dem Bauernverband Glyphosat abgelehnt. Es gibt diese Entwicklungen. Und jetzt kommt eben Mals. Was wir dort so großartig finden, wird in Südtirol nicht von allen geteilt.

Sie aber werben mit der Gemeinde?
Ich habe in Südbayern einen Bürgermeister – ein CSUler zwar, aber mit dem kann ich über eine Bioregion reden. Zu dem sage ich: „Schau, in Südtirol gibt es ein Dorf, das hat das gemacht“. Und der nächste Satz, den ich sage, der ist ganz entscheidend. Entweder ich sage: „Dieses Dorf war damit total erfolgreich.“ Oder ich sage: „Dieses Dorf hat rechtlich richtig eines auf den Deckel bekommen.“ Dazwischen entscheidet sich, ob es gemacht wird.

Wenn Mals scheitert, scheitert Ihr Traum?
Zumindest können wir uns als europäische Umweltbewegung die ersten Ansätze gegen den immer größeren Gifteinsatz nicht über seltsame rechtliche Argumente kaputtmachen lassen. Weil dann nicht nur ein einzelnes Projekt stirbt, sondern auch ein zartes Pflänzchen. Mals ist ein Modell, das merkt man an der internationalen Aufmerksamkeit. Es geht um ein Dorf mit Potenzial für eine große Revolution.

Haben Sie keine Angst, es mit Ihrer Unterstützung zu übertreiben?
Ihr Plakat ging selbst vielen Pestizid-Gegnern zu weit. Im April habe ich den Malsern bei unserem Aktionstag noch gesagt: „Ich will auf keinen Fall, dass ihr in Verruf geratet, wir machen alles gemeinsam.“ ­Diese scharfe Aktion haben wir aber bewusst gemacht, ohne uns mit ihnen abzusprechen.

Warum?
Was, wenn die sagen: „Nein, lieber nicht!“ Was, wenn der Nestbeschmutzer-Vorwurf kommt? Wir können hier von außen auch mal was raushauen.

Hat das Schaden angerichtet?
Ich glaube nicht. Der Bürgermeister hat sich von uns distanziert, lieber wäre mir gewesen, er hätte das nicht getan. Aber das ist Politik. Immerhin haben wir Debattenräume geöffnet. Bei mir haben Leute aus dem Unterland angerufen und gesagt: Könnt ihr nicht auch mal den Speck plakatieren?

Drohanrufe kamen nicht?
Doch, es gab Leute, die mich einen Hurensohn nannten. Auf Facebook schrieb einer: „Du schaust aus wie das Arschloch, das du bist.“ Aber ich habe mal für eine Grünen-Politikerin gearbeitet, die von der Bild-Zeitung zur „schönsten Abgeordneten“ gekürt wurde. Ich bin das gewohnt. Mit einem „Hurensohn“ muss man rechnen. Das ist keine Südtiroler Eigenheit.

Auf dem Plakat war ausgerechnet das Foto eines biodynamischen Bauern abgebildet. Sie haben Ihren Gegnern selbst Munition gegeben.
Ja, das war ein grober handwerklicher Fehler. Aber ich kann von außen nicht sehen, ob das ein Biobetrieb ist. Den anderen gab das die Möglichkeit, auf den Überbringer der schlechten Botschaft einzuschlagen. Aber die Südtiroler müssen aus dieser Bunkermentalität heraus. Diese Gegnerschaft gegen alles, was von außen kommt, ist seltsam.

Planen Sie weitere Aktionen?
Ich werde erst mal keine solche Provokationen mehr starten. Es wäre sinnvoll, wenn wieder ein bisschen Ruhe hineinkäme. Man kann doch nicht über Jahre auf diesem Niveau streiten.

Interview: Anton Rainer

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