Politik

Das Jesukind

Aus ff 51 vom Donnerstag, den 21. Dezember 2017

Das Jesukind
© freepik, ff-Grafik
 

Südtirols kostbarstes Baby: die Autonomie

Es hat lange gedauert, bis sich die Südtiroler in dieses Kind verlieben konnten. Die einen hätten es am liebsten abgetrieben, die anderen fanden es schlicht und einfach hässlich. Und tatsächlich: Wer sich die Autonomie genauer anschaute, musste angesichts all der komplizierten Paragraphen und Durchführungsbestimmungen geradezu erschauern. Nein, ein Baby, in das man sich sofort Herz über Kopf verliebt, war die Autonomie nicht – noch dazu wo sie wundersamerweise viele Väter, aber keine Mutter hatte. Aber nicht nur Frauen spielten bei ihrer Geburt keine Rolle. Auch die Italiener dieses Landes waren vom Kreißsaal ausgesperrt worden. Erst als das ihnen fremde Kind da war, forderte man sie auf, es zu lieben und mitzuhelfen, es großzuziehen.
Aus dem ungeliebten Kind wurde das schönste Kind, das man sich vorstellen kann. Aus der ganzen Welt kamen Menschen nach Südtirol, um die Autonomie zu bewundern, die dieses Land zu etwas Außergewöhnlichem gemacht hat.
Irgendwann befand irgendwer, dass das Kind eine Schönheitsoperation nötig habe. Es sei inzwischen in die Jahre gekommen, nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Und so brachte man es in den sogenannten Konvent.
Man möchte annehmen, dass dort die besten Lehrer, Philosophen und Ärzte zu Werke gingen. Stattdessen wurde die zweite, wenn nicht dritte Garde auf die Autonomie losgelassen. Es kam, wie es kommen musste: Nach monatelangen Streitereien und Belanglosigkeiten brach der Konvent die Operation ab – zum Glück rechtzeitig. Gröbere Verstümmelungen konnten dadurch vermieden werden, die eine oder andere Schramme hat die Autonomie aber freilich abbekommen.
Der Verdacht, dass der Konvent letztendlich dazu gedient hat, das liebgewonnene Kind madig zu machen – ja vielleicht durch ein anderes Kind zu ersetzen –, wurde in den letzten Tages des Jahres 2017 erhärtet. In Österreich hatte der politische Wind auf rechts gedreht, und siehe da: Plötzlich sprach niemand mehr von Autonomie, sondern nur noch von doppelter Staatsbürgerschaft.
Um was genau es sich dabei handelt und wer von den in Südtirol lebenden Menschen eine solche beanspruchen könnte, das weiß man nicht. Was man hingegen weiß: Jene, die nie einen Hehl daraus gemacht haben, dass sie die Autonomie verabscheuen, lobpreisen den „Doppelpass“ jetzt als „historischen Durchbruch“.
Und was macht die SVP, was machen die Kinder der Autonomie? In der Hoffnung, bei der Landtagswahl 2018 die eine oder andere rechtspatriotische Stimmung zu ergattern, klatschen sie Beifall, anstatt sich zu fragen, wohin dieser „Durchbruch“ Südtirol führen wird – und wie sich das Kuckuckskind namens „Doppelpass“ mit der Autonomie verträgt.

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